Mannerfreie Zone
Glaubwürdigkeit stark beeinträchtigen würden.
„Glaubst du nicht, dass meine Glaubwürdigkeit alleine schon dadurch beeinträchtigt ist, dass ich mir ein Treffen mit ihm erschlichen habe?“
„Eve, jetzt beruhige dich doch. Du bekommst ja schon wieder einen deiner Anfälle. Fang bei Prescott bloß nicht damit an, über irgendwelche komischen Filmeszenen zu sprechen oder so.“
Ich ziehe also ihren Anzug an. Ich muss schon sagen, dass ich darin ziemlich gut aussehe. Ich fahre mit der U-Bahn zur Arbeit, und als die Bahn kommt und der Wind mein Haar nach hinten weht, fühle ich mich schon wieder so, als ob mein Leben noch einmal ganz neu beginnen würde. Dieses Gefühl hilft mir durch den Morgen und auch, als ich im Fahrstuhl in Prescotts Stockwerk fahre. Ich bin noch nie zuvor in diesem Fahrstuhl gewesen. Unglaublich. Das erste Mal hält er im fünfundvierzigsten Stock. Zwischen den Leuten, die hier mitfahren, und denen, die sonst so um mich rum sind, besteht ein himmelweiter Unterschied.
Im sechzigsten Stockwerk steige ich aus. Die Empfangsdame schaut mich von oben bis unten an – ich weiß, dass sie mich durchschaut hat. „Hallo, ich habe eine Verabredung mit Prescott, ich meine Prescott Nelson.“
„Gehen Sie einfach hinein.“ Ich laufe an einer riesigen Küche, einem unglaublich riesigen Konferenzzimmer aus Eiche und einem (stellen Sie sich das mal vor) Trainingsraum vorbei. Hinter einem großen Schreibtisch sitzt eine gut gekleidete ältere Dame.
„Hi, ich bin Colleen Brandes. Und Sie müssen Eve Vitali sein“, sagt sie. Sie weiß, was hier gespielt wird. Gleich wird sie mir sagen, dass das alles nur ein dummer Fehler war und ich doch bitte wieder nach unten zu den anderen Tagelöhnern gehen soll. Ansonsten müsse sie die Wache rufen.
„Ja, das bin ich.“
„Was für ein schöner Name. Mr. Nelson ist noch in einem Meeting, wird aber jeden Augenblick hier sein.“ Sie deutet auf ein Plüschsofa. Ich setze mich und nehme mir eine Zeitschrift vom Stapel. Tabitha hat mir geraten, jede noch so kleinste Handlung mit Bedacht zu tun. Mist! Mist! Mist! Ich hätte die Finanzzeitschrift nehmen sollen, das würde seriöser wirken. Mist! Wie heißt unsere Finanzzeitschrift überhaupt? Vielleicht will Prescott mich ja testen und fragt mich nach den Titeln aller Zeitschriften?
„Ms. Vitali, er hat jetzt Zeit für Sie, bitte kommen Sie mit.“ Oh mein Gott! Ich werfe die Zeitschrift zurück auf den Tisch. Warum habe ich sie geworfen? Warum habe ich sie nicht ordentlich hingelegt? Was ist denn los mit mir?
Ich folge Prescotts Sekretärin den Gang entlang. Sie läuft sehr vorsichtig, warum nur machen meine verdammten Sandalen einen solchen Lärm? Vielleicht ist Prescott ja geräuschempfindlich. Warum haben sie nicht schon längst mein schreckliches Geheimnis herausgefunden? Bestimmt werde ich dafür bezahlen müssen. Warum haben meine Freundinnen mich nicht aufgehalten? Wir stehen vor Prescotts Tür. Sie ist verschlossen. Colleen öffnet sie, legt ihre Hand auf meinen Rücken und schiebt mich hinein. Nein! Nein! Ich kann das nicht. Ich wehre mich, aber sie ist stark. Sie schließt die Tür hinter mir.
Dann sind wir alleine in seinem Büro. Nur er und ich. Meilen scheinen zwischen uns zu liegen. Dieses Büro ist unglaublich. Ich brauche einen Moment, bis ich erkenne, dass Prescott leise in sein Telefon murmelt. Er schaut auf und winkt mich zu sich.
Es gibt nur einen Stuhl direkt vor seinem Schreibtisch, auf den ich mich setzen kann. Ich starre an ihm vorbei, durch das Fenster hat man einen herrlichen Blick auf den Hudson. So lässt es sich leben! Er spricht so leise, dass ich kein Wort verstehe. Schließlich legt er auf, schreibt etwas auf seinen Block und lächelt mich an.
„Hallo Eve. Ich schätze Sie wissen, warum ich mit Ihnen sprechen wollte.“ Er hat einen Chicagoer Akzent.
„Nun, ich bin mir sicher, dass es sich um einen Fehler handelt. Ich verstehe das.“ Ich schaue ihn flehend an. Mir ist dieser flehende Blick bewusst, ich habe ihn vor dem Spiegel geübt.
„Nun, Eve, ich habe einfach wahllos einige der Aushilfen ausgewählt, um mich mal mit ihnen zu unterhalten. Zeitarbeit und freie Mitarbeit werden hier immer wichtiger, ich möchte mit einigen von Ihnen darüber sprechen, wie wir Ihnen die Arbeit erleichtern können.“
„Warum denn das?“
„Aber Sie haben sich doch bestimmt erkundigt, als sie die E-Mail bekommen haben?“ Ich bin so ein Depp.
„Nein, habe ich nicht. Ich dachte,
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