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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Banner
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Fotos anzusehen.
    »Deine Mutter sieht aus wie Monica«, bemerkte er. »Aber die andere Frau ist dir wie aus dem Gesicht g e schnitten. Ist das deine Großmutter?« Anna nickte. »Und der Mann ist dein Vater?«
    »Ja. Er ist gestorben.«
    Ryan sah sie an. »Das tut mir leid.« Er wandte sich wieder dem Foto zu. »Er sieht aus wie ein guter Mann.«
    »Ich habe ihn eigentlich gar nicht gekannt. Er starb, als ich ein Jahr alt war. Aber nach dem, was mir meine Mutter erzählt hat, war er tatsächlich ein guter Mann.«
    »Was weißt du über ihn?«
    Anna wusste eine Menge über ihren Vater – er war durch Monicas und Michelles Geschichten für sie zur Legende geworden. Aber sie konnte sie nicht diesem Jungen, den sie kaum kannte, weitererzählen, selbst wenn sie inzwischen jeden Tag mit ihm sprach. »Nichts … Ich weiß wirklich überhaupt nichts über ihn.«
    »Er sieht jung aus auf dem Bild.« Ryan berührte vo r sichtig den Rahmen.
    »Da ist er achtzehn. Sie hatten kurz davor geheiratet. Ein Jahr, bevor ich geboren wurde.«
    Ryan starrte weiter das Foto an, so als wäre es ein Fenster in eine andere Welt. »Ich habe keine Familie mehr.«
    »Abgesehen von deinem Großonkel, meinst du.«
    »Ja, natürlich. Und dann noch einen Onkel – der Br u der meiner Mutter – da, wo ich herkomme. Aber ich ha s se ihn. Es gibt niemanden – fast niemanden –, dem ich mehr den Tod wünsche als ihm.«
    »Fühlst du dich nicht schlecht dabei, so über deinen Onkel zu denken?«
    »Vielleicht sollte ich das. Aber du kennst ihn nicht.«
    »Was ist mit deinen Eltern?«
    Obwohl sich sein Gesicht nicht veränderte, strahlte er plötzlich einen Zorn aus, der den ganzen Raum zu erfü l len schien. »Sie sind tot.« Seine Tasse klirrte auf dem Unterteller in seinen Händen. Er setzte ihn ab und starrte aus dem Fenster.
    »Es tut mir leid. Ich wollte nicht …«
    »Ich bin nicht wütend auf dich.« Aber seine Augen waren wütend, als er sie wieder ansah.
     
    »Harald! Harold !« I ch hatte geschlafen und dabei g e träumt. » Harold? Was machst du hier? Du solltest in der Schule sein.« Ich öffnete die Augen und sah am unteren Rand des Himmel s e ine schwarze Silhouette. Großmu t ter. »Was machst du hier?«, fragte sie wieder.
    Ich wusste es nicht und rätselte, warum sie mich H a rold nannte. Ich sah mich um, drehte mich auf den R ü cken und fühlte das von meinem Körper flach gedrückte Gras unter mir, und die Blumen, die unter meinem Kopf ihre Pollen freisetzten. Ich richtete mich auf. Ich musste auf Stirlings Grab eingeschlafen sein.
    »Warum bist du nicht in der Schule, Harold?« Ich sah sie einfach nur an. Sie starrte zurück, als würde sie mich nicht erkennen.
    Sie drehte sich um, als ich aufstand, und legte einen frischen Blumenstrauß unter das Holzkreuz. Sie arra n gierte die Blüten und begann, gleichzeitig zu summen und zu weinen. Ich stand hilflos hinter ihr. Die Töne w a ren hoch und falsch, aber ich glaubte, dass es ein Ki r chenlied war. Schließlich trat sie zurück und betrachtete für eine Minute das Kreuz, bevor ihr Blick leer wurde. Ich berührte sie am Arm.
    Sie zuckte zusammen, dann drehte sie sich zu mir um. »Leo?« Ich nickte. »Du hast mich erschreckt. Was machst du hier, Leo? Wo kommst du so plötzlich her? Ich habe dich vorher gar nicht gesehen. Bist du vom Tor gekommen, während ich mich nach unten gebeugt habe, um die Blumen niederzulegen?«
    Ich antwortete nicht.
    »Trotzdem, so spät …« , sagte sie, aber sie sah dabei nicht mich an. »Du kehrst so spät zurück. Ich dachte, du wärst tot. Es sind sechs Jahre vergangen.«
    Ich bekam Angst. Es war wie in einem Traum, in dem nichts einen Sinn ergibt. Ich schüttelte heftig den Kopf. Sie sah mich einen Moment lang an, dann wandte sie sich wieder ab.
    »O ja. Sechs lange Jahre. Wie die Zeit für dich dahi n gerast sein muss, Harold. Du hast versprochen, mit mir in Verbindung zu treten. Ein Brief, eine Nachricht über e i nen Freund – i rg endetwas. Zwei Worte hätten genügt. Doch du hast es nicht getan. Und dein Sohn Leonard hasst mich, weil ich sie nicht zu dir nach Alcyria gela s sen habe, und Stirling weint nach seiner Mutter, aber was hätte ich sonst tun sollen? Ohne ein Wort von dir wollte ich das Leben deiner Jungen nicht gefährden. Warum hast du nicht Kontakt zu mir aufgenommen?«
    Fast hätte ich in diesem Moment gesprochen. Aber es war wie ein Versprechen, und ich würde es nicht br e chen. Sie starrte mich mit leerem Blick an. Dann sah

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