Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
zu vers u chen, die Zeitung zu lesen, während ich von der Stille Kopfschmerzen bekam.
Als ich gerade an der Außenseite des Kirchplatzes en t langlief, traten plötzlich zwei Soldaten aus einem Haus eingang.
»Wohin gehst du?«, fragte einer. Ich antwortete nicht. »Dieses Gebiet ist für einen wichtigen militärischen Ei n satz gesperrt«, fuhr er fort. »Hast du die Bekanntm a chung nicht gehört? Hast du nicht die Zeitungen gel e sen?«
Ich machte Anstalten weiterzugehen. Sie taten so e t was manchmal, aber ich würde nicht umkehren, weil sie es mir befahlen.
Sie tauschten einen verunsicherten Blick aus, dann fasste einer der beiden nach meinem Arm. »Wenn du nicht gerade au f d em direkten Heimweg bist, darfst du nicht hier draußen sein«, sagte er, während er darum kämpfte, mich weiter festzuhalten. »Wenn du dich hier noch mal blicken lässt, wirst du mit einer offiziellen Verwarnung nach Hause eskortiert.« Er stieß grob me i nen Arm weg und ließ mich gehen. Ich konnte ihre Bl i cke in meinem Rücken spüren, als ich weiterlief.
Eine Straße weiter begegnete ich zwei anderen, und in der nächsten drei weiteren. Diese drei wollten mich nicht zum Friedhof weitergehen lassen. Sie bauten sich vor mir auf und zwangen mich, den Weg zurückzugehen, den ich gekommen war.
Ich war plötzlich müde und hatte nicht die Kraft we i terzulaufen. Ich setzte mich in einen Hauseingang und legte den Kopf auf die Arme. Einen Moment später klopfte jemand an eine Fensterscheibe. Es handelte sich um eine reich aussehende Frau, die mich finster anstarrte, weil ich auf ihrer Türschwelle saß. Ich stand wieder auf.
Ich ging ein paar Straßen weiter, dann setzte ich mich vor die hohe Mauer der verschlossenen Königlichen Gä r ten. Der Regen strömte mir über das Gesicht, aber das kümmerte mich nicht. Ich saß da, schloss die Augen und wünschte mir zum hundertsten Mal, dass Stirling bei mir wäre. Er würde diese Verzweiflung nicht zulassen. Er würde etwas sagen, um mich aufzumuntern. Etwas, das ich mir nicht selbst sagen konnte.
Während ich mit geschlossenen Augen so dasaß, b e gann ich, einen Hügel zu sehen, auf dem die Sonne schien, und dieses Mädchen namens Anna und den Pri n zen. Ich war kilometerweit davon entfernt gewesen, an diese Dinge zu denken, und trotzdem waren sie plötzlich in meinem Kopf, so als ob jemand sie dorthin geschoben hätte. Ich stand auf und sah mich um, dann fiel mir plöt z lich das Buch ein, und ich zog es aus meiner Mantelt a sche. Es bestand nun aus zwei Hälften – zwei schäbigen Lederdeckeln mit losen Blättern dazwischen.
Was hatten Märchen und Träume noch für einen Sinn, jetzt, da Stirling tot war? Ich war plötzlich wütend auf dieses Buch, das uns alle möglichen bedeutungslosen Lügen erzählt hatte über ein Land, das es nicht gab. A l debaran war tot; wir hatten keine Verwandten in En g land; der Prinz war vor zehn Jahren erschossen worden. Aber trotzdem verfolgte mich diese seltsame Geschichte noch immer, und ich wurde sie einfach nicht los.
Ich riss den Arm nach oben, zögerte für einen kurzen Moment, dann warf ich das Buch mit der letzten Kraft, die ich noch hatte, über die Mauer in die Königlichen Gärten. Ich hörte die Seiten wie Vogelflügel durch die Zweige flattern, dann wurde es still.
Das war es – die Geschichte war vorbei. Ich drehte mich um und ging nach Hause.
Aldebaran sah aus dem Fenster, ohne den englischen Sonnenschein wahrzunehmen. Er war mit den Gedanken in seiner Heimat und bei dem Regen, der dort gerade fiel, und bei seiner englischen Familie, die er kaum kannte. Und bei einem schwarzen Buch. Er bemerkte nicht, dass Ryan weggegangen war.
Anna machte gerade eines der Gästezimmer sauber, als sie Ryan durch das Fenster auf das Hotel zukommen sah. Sie hörte mit dem Bettenmachen auf und rannte nach unten auf den Hof.
»Du hättest nicht herkommen sollen«, sagte sie, als sie vor ihm stand.
»Ich musste dich sehen.«
»Du hast Aldebaran versprochen, im Haus zu bleiben, Ryan.«
Er nahm ihre Hände. »Es wird schon nichts passi e ren.«
Sie hörten Monica irgendwo im Haus nach Anna r u fen. Sie sah ihn an, dann entfernten sie sich langsam vom Hotel und gingen über den Rasen in Richtung der Wa s serfälle.
»Aber selbst wenn«, nahm Anna die Unterhaltung wiede r a uf. »Was ist denn damals geschehen, das dir so l che Angst eingejagt hat? Haben sie wirklich Soldaten zu euch geschickt?«
Er zögerte kurz. »Sie kamen zum Haus –
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