Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
Cassius nicht töten; der Silberadler ist vor uns verborgen, und wir haben nicht die Zeit, ihn auf irgendeine andere Weise zurückzubekommen.«
»Ich werde mich mit Aldebaran in Verbindung se t zen«, sagte Talitha. »Ich gebe ihm eine halbe Stunde. Lange genug, um in Panik zu geraten, aber nicht lange genug, um nachzudenken. Anschließend können wir das Mädchen trotzdem töten und haben dabei nichts verl o ren.« Sie wandte sich an die beiden Soldaten. »Fesselt sie.«
Darius polterte die Treppe hinunter, um Seile zu h o len, dann kam er zurück und fing grinsend an, Annas Hände und Füße zu fesseln.
»Mach das sorgfältig«, sagte Talitha plötzlich. Darius, der gerade eins der Seile um Annas Knöchel schlang, hielt mitten in der Bewegung inne. »Dieses Mädchen ist eine nahe Verwandte eines sehr mächtigen Mannes.«
Lucien sah sie an. »Besitzt sie magische Fähigkeiten? Dieses englische Mädchen?«
Talitha ließ den Blick wieder auf Anna ruhen, die nun gefesselt gegen die Mauerbrüstung gelehnt auf dem B o den saß. »Ja. Ja, das tut sie.« Dann sah sie weg. »Einer von euch hält ständig sein Gewehr auf sie gerichtet.«
Darius schwang sein Gewehr von der Schulter, dann hob e r e s an und gab mit einem kurzen Lachen vor, einen Schuss abzugeben.
»Ich übernehme das«, sagte Ahira und legte seine Hand auf die Waffe. »Du solltest eigentlich an der Gre n ze sein, und du wirst die ganze Nacht brauchen, um dor t hin zu gelangen.«
Darius starrte Ahira an, dann rempelte er ihn wütend mit der Schulter zur Seite. Ahira griff nach der Waffe, und in diesem Moment löste sich ein Schuss. Die Kugel prallte von der Burgmauer ab.
Ahira riss das Gewehr an sich. »Geh an die Grenze!« Dann legte er die Waffe flach in die Hände des Mannes zurück, blieb aber zwischen ihm und Anna stehen. Darius sah zu Luden.
»Geh«, sagte dieser. »Ahira wird später zusammen mit mir nachkommen. Du wirst dort gebraucht.«
»Aber sicherlich dauert es nur …«
»Geh jetzt! Hör auf zu widersprechen, und geh!«
Murrend verschwand der Mann durch die Tür und stapfte dann die Steintreppe hinunter. Anschließend herrschte Stille. »Aldebaran«, sagte Talitha in diese Stille hinein.
»Kann er dich hören?«, wisperte Lucien.
In England, in der dunklen Bibliothek neben dem See, sah Aldebaran erschrocken auf. Der stärker werdende Wind und die Wellen hatten seinen Namen gerufen.
Lucien ging auf dem Balkon auf und ab. »Was macht Aldebaran im Moment?«, fragte er nach einer Weile.
»Ich kann es nicht erkennen«, antwortete Talitha. »Ich werde um Mitternacht Truppen zu der verfallenen Kape l le schicken. Falls er dort ist, werden sie ihm den Si l beradler abnehmen.«
Dann war es wieder still auf dem Balkon. Annas A u gen waren unverwandt auf Ahira gerichtet. Er sah zu T a litha, dann drehte er sich zu Anna um und formte mit den Lippen etwas über Seile. Sie versuchte, ihre Hände zu befreien, und er nickte.
Die Seile waren so straff gewesen, dass sie in ihre Handgelenke geschnitten hatten, aber jetzt lockerten sie sich. Sie konzentrierte sich darauf, und die Knoten glitten auseinander.
Da drehte sich Talitha um. »Ich werde sie enger zi e hen.«
Anna fing an zu keuchen, aber sie konnte nicht atmen. Die Seile zogen sich um ihre Hand- und Fußgelenke z u sammen, aber es waren nicht nur die Seile – plötzlich zog sich auch die Luft um sie herum zusammen. Ihr Puls pochte seltsam – zuerst in ihrem Kopf, dann in ihrer Brust und schließlich in ihrem Bauch. Sie konnte nicht atmen und fühlte gleichzeitig, wie die Luft ihre Knochen zertrümmerte. In ihrer Brust war ein stechender Schmerz. Sie fiel seitlich zu Boden, und die Luft drückte schwer wie Stahl auf sie nieder.
Endlich drehte Talitha sich weg, und Anna, die zi t ternd im Staub lag, bekam wieder Luft. »Aldebaran sorgt sich um seine Familie«, sagte Talitha. »Er hat jetzt noch fünfzehn Minuten. Ich denke, das hier wird funktioni e ren.«
»Ist es wirklich nötig, ein so junges Mädchen zu fo l tern, Talitha?«, setzte Lucien an. »Ich will damit sagen …« Talitha hob die Hand, und er verstummte.
»Wo gehst du hin?«, fragte Ryan, als Aldebaran die Treppe hinunterrannte.
»Zur Kapelle. Bleib im Haus.«
Ryan rieb sich den bandagierten Kopf, dann stand er auf, obwohl das Zimmer um ihn herum dabei schwankte. »Warum willst du mir nicht sagen, was los ist? Was ist mit Anna – ist sie in Sicherheit? Bitte!«
»Ich habe keine Zeit. Ich muss jetzt gehen. Bleib
Weitere Kostenlose Bücher