Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
betrachtete meine zitternden Hände.
»Ich muss gehen«, sagte Pater Dunstan schließlich und zog seine Uhr hervor. »Ich war auf dem Weg zu einem sehr kranken Kind. Ich lasse euch nur ungern so zurück, aber ich habe keine andere Wahl.« Im Halbdunkel des Zimmers sah er mir kurz in die Augen, so als wollte er mir etwas sagen. »Werden Sie zurechtkommen?«, fragte er an Großmutter gewandt.
»Ja, natürlich. Ich fühle mich jetzt wieder gut, Pater. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber ich bin mir sicher, dass es nichts ist, weswegen man sich Sorgen machen müsste.« Aber ihre Stimme zitterte.
»Pass auf deine Großmutter auf«, sagte der Priester und legte mir für einen Moment die Hand auf die Schu l ter. Dann ging er.
Wir blieben schweigend und ohne uns anzusehen si t zen. Meine Hände zitterten schlimmer als je zuvor.
»Leo, Leo«, sagte Großmutter nach einer Weile und versuchte, sie in ihre zu nehmen. »Hab keine Angst. Es ist nun alles Ordnung. Ich bin wieder ich selbst. Es waren nur diese Soldaten.«
Es war keine Angst, die meine Hände zittern und mein Her z r asen ließ. Ich hatte das Gefühl, als würde das Zimmer vor meinen Augen dunkler werden. Ich wusste plötzlich, dass ich wieder etwas in der Art tun würde, wie ich es schon einmal getan hatte – einen Stuhl aus dem Fenster werfen oder meinen Kopf gegen die Wand schl a gen. Aber Großmutter war so schwach und verängstigt; der Gedanke, ihr einen neuen Schock zu verursachen, erschreckte mich. Ich redete mir ein, dass ich nur still sitzen und meine Augen schließen müsste, um sicher zu sein. Ich zwang mich dazu, mich nicht zu bewegen.
Die Lampe ging aus. Ich wagte nicht aufzustehen, also saßen wir im Dunkeln. Ich konnte Großmutter atmen h ö ren – so bedächtig und unregelmäßig, als müsste sie sich dazu zwingen –, aber ansonsten nichts.
Mit einem Mal klopfte es an der Tür.
Großmutter versuchte aufzustehen. Ich hob die Hand, um sie davon abzuhalten, sich zu bewegen. »Geh an die Tür, Leo«, sagte sie kraftlos. »Geh bitte. Pater Dunstan muss noch mal zurückgekommen sein.«
Ich zwang mich, zur Tür zu gehen. »Schnell«, sagte jemand auf der anderen Seite. Es war nicht Pater Du n stans Stimme. Unter dem Türblatt fiel ein seltsam fl a ckernder Lichtschimmer hindurch. Ich kämpfte mit dem Riegel, dann öffnete ich die Tür.
Vor mir stand ein Soldat mit einer brennenden Fackel in der Hand. Er war so nah an der Tür, dass ich die Hitze in meinem Gesicht spüren konnte. »Guten Abend. Bist du der Hauptmieter dieser Wohnung?« Ich antwortete nicht. Er lächelte schwach und fuhr fort: »Eine Ungedu l dete wurde zu dieser Adresse zurückverfolgt. Ich bin hier, um dir den Beschluss für ihre Festnahme und Inha f tierung nach dem Gesetz für die Ergreifung Ungeduldeter Personen, Paragraph 24, zu überbringen.«
Er händigte mir ein zusammengefaltetes Dokument aus. Es glitt mir aus den Fingern. Achselzuckend fuhr er mit seinem Vortrag fort. »Im Lauf der nächsten Tage werden Soldaten hie r e intreffen, um sie abzuholen und in eine entsprechende Einrichtung zu bringen. Ihr seid a n gewiesen …«
Hinter mir begann Großmutter zu weinen. Sie schluchzte laut in ihre Hände und wiegte sich dabei vor und zurück. Der Soldat hob seine Fackel und musterte den Schlamm in ihrem Haar und ihr schmutziges Nach t hemd. Dann schüttelte er lachend den Kopf. »Armes altes Weib. Aber so ist das Leben.«
»Ich werde Sie umbringen.«
Er zog die Brauen hoch und gab mir einen freun d schaftlichen Klaps auf die Schulter. »Versuch es nur.«
Schweigend starrten wir uns in die Augen. Ich ballte die Fäuste, bis meine Knöchel vor Schmerz brannten.
»Leo, komm von der Tür weg«, bat Großmutter.
»Vielen Dank für deine Hilfe«, sagte der Soldat, dann wandte er sich zum Gehen.
Ich stand schwankend in der Tür und versuchte, still zu bleiben. Aber ich konnte nicht. Ich stieß ihn gegen die Wand, entriss ihm die Fackel und schleuderte sie mit a l ler Kraft die Treppe hinunter. Als Nächstes hatte ich ihn am Hemdkragen gepackt, als wollte ich ihn erwü r gen. Ich stolperte über das Gewehr, dass ich in die Nähe der Tür geworfen hatte, im nächsten Moment hielt ich es plötzlich in der Hand. Ich schwang es herum, zielte mit dem Ko l ben auf seinen Kopf, aber er blockte meinen Arm ab. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Der Soldat fluchte.
Hinter uns rief Großmutter mit schriller, verängstigter Stimme: »Leo, hör auf!«
Plötzlich schrie noch eine
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