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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Banner
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Arm.
    »Schon gut. Beruhige dich, Leo. Versuch weiter, sie aufzuwecken.«
    Ich redete mit ihr, aber meine Stimme klang so kraf t los, dass ich sie selbst kaum hörte.
    Pater Dunstan nahm ihr Handgelenk, blieb für einen Moment reglos sitzen, dann nickte er kurz. »Ich kann einen Puls fühlen.«
    »Warum wacht sie dann nicht auf?«
    »Es muss am Schock liegen«, erklärte Pater Dunstan. »Er kann solche Anfälle auslösen.«
    »Was für Anfälle? Pater …«
    Plötzlich hustete sie und begann zu blinzeln. Ich ließ den Arm des Priesters los und griff nach ihrer Hand. Sie erwiderte meinen Druck nicht. Ihr Gesicht war farblos, abgesehen von ein paar dunklen Schlammspritzern. Schließlich sah sie zu mir hoch und murmelte: »Harold?«
    »Ich bin es: Leo.«
    Sie begann zu weinen.
    »In Ordnung«, sagte Pater Dunstan. »Lass sie uns nach Hause bringen.«
    Obwohl sie kaum laufen konnte, schafften wir es, sie zwischen uns zu stützen. Sie war mit einer Schlam m schicht bedeckt, aus der sich im Laternenschein ihr bla s ses, zitterndes, tränenfeuchtes Gesicht abhob. Wie ein Gebet murmelte sie während des Heimwegs immer wi e der »Harold, Harold …«
    »Es ist alles gut«, sagte ich und umklammerte ihren Arm fester. »Wir sind gleich zu Hause.«
    Ich hörte mich das wie aus weiter Ferne sagen. In meinen Ohren herrschte plötzlich eine seltsame Stille.
     
    Zurück in der Wohnung zitterte und weinte Großmutter weiter. Sie ließ sich aufs Sofa fallen und starrte in den kalten Kamin, während Tränen über ihr schmutziges G e sicht liefen. Ich holte Decken und Kissen und stopfte sie um sie herum, aber sie hörte nicht auf zu frösteln.
    Pater Dunstan zündete eine Lampe an. Etwas glänzte in meiner linken Hand, und ich realisierte, dass ich noch immer das Gewehr des Soldaten umklammerte. Ich warf es neben die Tür. Das Geräusch erschreckte Großmutter, und sie stieß einen Schrei aus. Sie fragte weiter nach H a rold und murmelte dan n e twas über Arthur. Es dämmerte mir vage, dass sie Aldebaran meinen musste. Pater Du n stan kochte Tee, und sie trank etwas davon, weinte aber noch immer.
    »Er wird dir auch guttun, Leo«, sagte er und drückte mir eine Tasse in die Hand. »Ihr habt beide einen Schock erlitten.« Ohne nachzudenken, trank ich ein paar Schl u cke, und mir fiel auf, dass meine Hände zitterten. Ich stand auf, um ihn zu fragen, was ich tun solle, aber ich konnte nicht sprechen.
    »Wie alt ist deine Großmutter, Leo?«, fragte Pater Dunstan und zog mich zur Seite.
    Es war absurd, aber ich konnte mich nicht erinnern. Ich hatte es einmal gewusst, bevor das alles passiert war.
    »Sechzig?«, schätzte Pater Dunstan. »Oder älter?«
    Ich begann, es an den Fingern meiner rechten Hand abzuzählen.
    »Einundsechzig?«, fragte er. »Zweiundsechzig? Du musst nicht sprechen.« Er riet weiter. Bei fünfundsechzig nickte ich.
    Er stand mehrere Minuten lang ganz still da. In diese Stille hinein begann Großmutter, mir mit einer hohen, kraftlosen Stimme, die überhaupt nicht wie ihre eigene klang, eine Geschichte über ihre Kindheit zu erzählen.
    »Sie ist alt«, sagte Pater Dunstan schließlich. »Und ein Schock ist nicht gut für jemanden, der so alt ist.«
    Ich sah ihn schweigend an, bis Großmutter wieder z u rück bei uns war. Sie starrte uns an, ertastete den Schlamm in ihrem unordentlichen Haar und setzte sich auf dem Sofa auf.
    »Leo!«, rief sie ängstlich. »Was ist passiert? Pater?«
    Pater Dunstan kniete sich neben sie und nahm ihre Hand. »Ruhen Sie sich für eine Weile hier aus, Margaret. Sie haben einen Schock erlitten, das ist alles.« Er erzählte ihr, was geschehen war, und sie hörte ihm zu, während ihr wieder die Tränen in die Augen stiegen.
    »Früher ist mir so etwas nie passiert«, sagte sie, nac h dem e r g eendet hatte. Sie weinte wieder. »Was sollen wir ohne Stirling nur tun? Als er noch bei uns war, habe ich nie so seltsame Anfälle gehabt oder mich so müde g e fühlt.«
    »Es ist verständlich, dass Sie nicht ganz Sie selbst sind«, tröstete Pater Dunstan sie. »Diese letzten Tage sind sehr schwer für Sie gewesen, Margaret. Sie müssen sich ausruhen, dann werden Sie anfangen, sich wieder wie früher zu fühlen.« Er fuhr fort, ihr gut zuzureden, und sie hörte ängstlich zu.
    Mit langsamen Bewegungen holte ich einen Schal für sie und half ihr, den Schlamm von ihrem Gesicht zu w a schen. Pater Dunstan kochte mehr Tee, dann unterhielten sie sich leise weiter. Ich saß schweigend daneben und

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