Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
gesagt.«
»Als wir uns unterhalten haben, erst vor ein paar Stunden. Als ich dich fragte, ob du mich heiraten willst.«
Sie drehte sich zu ihm um, aber sie konnte seinen G e sichtsausdruck nicht erkennen. »Das hast du mich ni e mals gefragt!«
Er wandte sich von ihr ab und fing an, das Bett zu m a chen.
»Ryan, soll das ein Scherz sein?«
»Sag das nicht!«
»Ryan!« Sie riss ihm das Laken aus der Hand, damit er sie ansehen musste. »Wir sind erst fünfzehn.«
»Das Gesetz ist anders in meinem Land. Mit fünfzehn kann man dort heiraten.«
»Wolltest du mich das wirklich fragen, Ryan? Oder hast du nur so im Halbschlaf dahingeredet?«
»Natürlich wollte ich dich das fragen.«
»Ich dachte, du hättest gesagt, dass du nach Hause z u rückkehren würdest. Wie könntest du das tun, wenn du mich heiratest?« Sie hielt inne. »Du meinst, dass ich mi t kommen soll.«
»Ja, das ist es, was ich meine.«
Sie setzte sich aufs Bett und starrte ihn an.
»Ich habe letzte Nacht versucht, nicht zu schlafen«, sagte er, während er zum Fenster ging. »Ich lag da und wünschte mir, dass die Sonne niemals aufgehen würde, weil ich nirgendwo anders sein wollte als hier bei dir. Und dann dachte ich: Warum nicht? Warum gehen wir nicht zusammen? Du hast die Stadt gesehen. Du bist zum Teil Malonierin. Warum also nicht?«
»Die Stadt«, wiederholte sie. Sie dachte dabei nur an Talithas seltsam junges Gesicht, an den Soldaten Darius und an das Blut, das über die Steine der Burg geflossen war. »Was sollte ich dort tun?«
»Wir wären zusammen. Anna, ich habe mir mein ga n zes Leben lang gewünscht, dorthin zurückzukehren, aber das alles bedeutet mir nichts mehr, wenn ich dich nicht wiedersehen werde.«
»Die Vorstellung zurückzugehen, ist für dich leicht, Ryan. Du nimmst dort einfach einen Platz ein, der schon auf dich wartet.«
»Du meinst, weil ich der Prinz – der König – bin? Weil es angeblich mein Schicksal ist?« Er schüttelte den Kopf. »So ist es überhaupt nicht. Irgendjemand hat sich diese Phrase ausgedacht – die Augen eines Königs –, und sie ist einfach haften geblieben. Vielleicht war es Harold North, der sie als Erster geschrieben hat – ich weiß es nicht, einer von diesen einflussreichen Schriftstellern eben. Und anschließend hat das Volk versucht, mich in Aldebarans Prophezeiung einzupassen, und er war hier in England, um seine großartigen Pläne für mein Leben zu schmieden. Jeder wollte darin mein Schicksal sehen, das ist alles. Es ist meine Pflicht geworden zurückzugehen, das steht außer Frage. Aber das ist nicht dasselbe. Es ist etwas, das ich aus Verantwortungsgefühl heraus tun muss und nicht, weil ich irgendwas Besonderes wäre.«
»Du hast mir erst vor ein paar Tagen gesagt, dass ich unbedingt Tänzerin werden soll. Hast du das ernst g e meint?«
»Du kannst überall tanzen, Anna.«
»Das ist nicht wahr. Und alles, das mir je wichtig war, ist hier. Wie könnte ich es zurücklassen und an einen Ort gehen, den ich noch nicht mal für real halte? Ich weiß nicht, ob ich überhaupt dort bleiben könnte. Ich glaube, ich würde aufwachen und wieder in England sein.«
»Aber ich kann nicht hier bei dir bleiben. Komm mit mir. Sonst bricht mir das Herz.«
»Würdest du bitte ernsthaft mit mir reden? Setz dich hin und rede ernsthaft mit mir.«
Ryan schwieg kurz, dann sagte er: »Vielleicht hast du es gar nicht so gemeint, als du gesagt hast, dass du mich liebst. Aber wenn man dort, wo ich herkomme, ein Mä d chen liebt und ihr das sagt, dann wird daraus nicht am Ende einfach irgendj em and, den man hinter sich zurüc k gelassen hat. Wenn dort zwischen zwei Menschen das geschieht, was letzte Nacht zwischen uns geschehen ist, dann heiraten sie anschließend. Man bleibt zusammen und trennt sich um nichts auf der Welt. Aber vielleicht hast du gar nicht gemeint, was du gesagt hast.«
»Ich habe nie etwas gesagt, das ich nicht so gemeint habe!«
»Also, was machen wir jetzt? Sag mir, was ich tun soll.«
»Ryan, wenn du ein englischer Junge wärst, würde ich drei oder vier Jahre warten und dich dann heiraten. Aber das hier ist nicht so einfach.«
Er öffnete den Mund, um ihr zu sagen, dass die Liebe sehr wohl einfach war. Aber dann änderte er seine Me i nung.
»Wir kennen uns noch nicht lange«, sagte Anna. »Du musst gehen; ich muss bleiben. Ich sehe keine Möglic h keit, wie wir daran etwas ändern könnten.«
Sie beobachteten, wie die Sonne höher stieg. Er zeic h nete mit dem
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