Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
eigenes Baby.«
»Oh«, machte mein Bruder. »Bist du verheiratet?«
Ich griff mir unwillkürlich mit der Hand an den Kopf.
Das Mädchen sah mich an. »Hast du Kopfschmerzen? Wie gedankenlos von mir. Ihr müsst wegen mir hier in der Kälte rumstehen, obwohl du krank bist. Entschuld i ge.«
»Mach dir keine Gedanken«, versuchte ich sie mit mäßigem Erfolg zu beschwichtigen.
»Könnt ihr mir sagen, wo der Waschraum ist?«, fragte Maria.
»Dort draußen.« Stirling deutete in Richtung Tür. »Über den Hof.«
»Danke.«
Wir folgten ihr durch die Tür, wobei Stirling mich noch immer stützte. Sie blieb stehen und betrachtete stirnrunzelnd die schmutzigen Mauern und hohen Hä u ser, die das Sonnenlicht aussperrten.
»Ich fürchte, es ist nicht besonders hübsch hier«, sagte Stirling, als ginge es um sein eigenes Wohnzimmer.
»Ein paar Pflanzen würden meiner Meinung nach e i nen gewaltigen Unterschied ausmachen.«
Da realisierte sie, dass wir ebenfalls auf dem Weg zum Waschraum sein mussten. »Du solltest zuerst gehen.«
»Nein …« , widersprach ich matt und wünschte mir, dieses Gespräch nicht führen zu müssen.
»Doch«, beharrte sie. »Je schneller du wieder ins Bett kommst, desto besser.«
Ich hatte nicht die Kraft, weiter zu protestieren. Sti r ling half mir über den Hof bis zur Tür des Waschraums, und ich ging allein hinein. Ich konnte sie noch immer draußen reden hören und spitzte die Ohren für den Fall, dass sie annahmen, ich könnte sie nicht hören.
»Dein Bruder hat dich nicht mit reingehen lassen.« Sie nahm kein Blatt vor den Mund, so viel stand fest. »Was, wenn er wieder ohnmächtig wird?«
»Selbst wenn er im Sterben läge, glaube ich nicht, dass er mehr Hilfe annehmen würde als unbedingt nötig.«
»Er ist also stolz?« Ich konnte Stirlings Antwort nicht verstehen. »Aber Stolz ist nicht unbedingt schlecht. Auf gewisse Weise ist er eine Tugend.«
»Das habe ich gemeint«, sagte Stirling. Es folgte eine kurze Pause. Das Baby gluckste. Dann wieder Stirlings Stimme: »Bist du verheiratet?«
»Nein. Du?« Er lachte. Das Baby begann schrill zu weinen, und das Mädchen machte ein beruhigendes G e räusch.
»Also wohnst du hier allein mit Anselm?«, fragte Sti r ling, nachdem das Baby sich beruhigt hatte.
»Und mit meiner Mutter.«
»Wo ist dein Vater?«
»Er kämpft an der Grenze zu Alcyria. Da, wo auch dein Bruder schon bald sein wird, schätze ich. Ich erke n ne an seiner Kleidung, dass er Soldat ist.«
Ich sah an meiner Uniform hinunter und erinnerte mich, dass meine Schnürsenkel offen waren, meine halbe Brust entblößt war und Schlamm in meinen Haaren kle b te. Ich gab wirklich einen feinen Soldaten ab.
»Er ist auf der Militärschule«, sagte Stirling. »Danach wird er noch zweieinhalb Jahre lang bei der Armee au s gebildet.«
»Ich hätte ihn seinem Aussehen nach für älter geha l ten.«
»Nein, er ist fünfzehn.«
»Genau wie ich.«
»Ich bin acht«, sagte Stirling. »Ich bin auch auf der Militärschule. Aber es gefällt uns dort nicht. Am schlimmsten ist mein Lehrer – sein Name ist Markey. Eigentlich Sergeant Markey. Er ist wirklich gemein. Ich will kein Soldat sein, wenn ich groß bin, und Leo auch nicht. Er könnte ein –«
Ich öffnete hastig die Tür, und das Mädchen sagte mit einem winzigen Lächeln: »Ich sehe deinem Bruder an der Nasenspitze an, dass er meint, du hättest schon genug gesagt.«
Sie schob die Tür mit ihrer freien Hand auf und sah mit einem Ausdruck der Verachtung hinein. »Der Waschraum ist auch nicht sehr hübsch«, sagte Stirling entschuldigend.
»Egal. Zumindest gibt es einen Spiegel, eine Dusche und ein Waschbecken.«
»Aber nur kaltes Wasser.«
»Hm, okay.« Sie verlagerte das Gewicht des Babys, um es bequemer halten zu können.
»Soll ich ihn so lange für dich halten?«, fragte Stirling.
»Dein Bruder will bestimmt zurück ins Bett.«
»Nein, nein«, widersprach ich. »Ich werde mich ei n fach hier hinsetzen.« Ich ließ mich auf den Boden sinken und lehnte mich gegen die Mauer.
»Danke.« Das Mädchen übergab Stirling das Baby. »Halt deine Hand hinter seinen Kopf.« Sie wartete einen Moment, um sicherzugehen, dass Stirling ihn nicht fallen lassen würde.
Als sie die Tür hinter sich zumachte, begann das Baby zu schreien. Stirling versuchte, es auf dieselbe Art zu beruhigen, wie Maria es getan hatte, und schaukelte es dabei auf und ab, aber es schrie weiter. Das Weinen wu r de so beharrlich und kläglich, dass
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