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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Banner
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weil ich nur die Hand danach ausstrecken musste. Ich knöpfte das Hemd zur Hälfte zu und legte mir die Jacke locker um die Schultern. »Setz dich noch mal hin«, wies Stirling mich an und bestand dann darauf, mir die Stiefel anzuziehen.
    »Müh dich nicht mit den Schnürsenkeln ab«, sagte ich. Er hatte immer noch Probleme mit Schnürsenkeln. Er nahm mich wieder am Arm, und wir gingen in Richtung Tür. Als wir am Spiegel vorbeikamen, sah ich, dass auf meinen Haaren und an der Seite meiner Uniform Schlamm war und mein Gesicht immer noch eine gelbl i che Farbe hatte. »Ich sehe nicht gerade vorzeigbar aus«, sagte ich und versuchte, meine Haare zu glätten.
    »Du bist eitel, Leo«, meinte Stirling lachend. »Ni e mand wird dich sehen.«
    Noch immer kam mir alles seltsam distanziert vor, und meine Muskeln zitterten nun von dem zu harten Ausda u ertraining am Vormittag. Als wir uns dem unteren Ende der Treppe näherten, wurde mir wieder übel, und die Dunkelheit versengte meine Augen. Ich konnte Stirlings Stimme hören, aber sie wurde von einem schmerzhaften Pochen in meinen Schläfen überlagert.
    »Setz dich hin«, entschied er. »Sonst kippst du noch um.« Er drückte mich resolut auf die Treppe runter. »Halt deinen Kopf nach unten.« Ich legte meinen Kopf auf die Knie und schloss die Augen. »Ich hab dir doch gesagt, dass das keine gute Idee ist.«
    Dann wurde meine Sicht wieder klar, und das Pochen in meinen Schläfen verlor an Intensität. Ich stand auf, und wir kämpften uns die letzten paar Stufen hinunter. Sogar als er die Tür öffnete, ließ Stirling mich nicht los, und ich war froh d ar über. Er hielt mir die Tür auf, aber mir wurde wieder schwindlig, und ich konnte nichts s e hen. Ein Brechreiz brodelte in meiner Kehle hoch. Wü r gend beugte ich mich vornüber, und ein schmerzhafter Stich fuhr mir in den Magen.
    Stirling ließ mich nicht fallen. »Du bist zu schnell au f gestanden. Du hättest deinen Kopf langsam hochnehmen sollen.«
    Plötzlich fragte eine andere Stimme: »Ist alles in Or d nung mit ihm?«
    »Mein Bruder ist krank«, sagte Stirling und fügte hi n zu: »Keine Sorge, es ist nicht ansteckend. Außer Erschö p fung wäre ansteckend.«
    Jemand lachte.
    Ich lehnte mich an den Türstock, schnappte nach Luft und versuchte zu erkennen, um wen es sich handelte. J e mand kam die Treppe herunter, und als sich meine Sicht langsam wieder klärte, sah ich ein Mädchen etwa in me i nem Alter, das irgendein schweres Bündel in den Armen hielt.
     
    Die Haare hingen dem Mädchen nachlässig über die Schultern, aber so, als ob es gewollt wäre – als ob sie sie zurückgeworfen hätte, damit sie wieder nach vorne und über ihre Ohren fallen würden. Als sie näher kam, warfen ihre langen Wimpern in dem Licht, das von der geöffn e ten Tü r aus auf sie fiel, spinnenbein artige Muster auf ihre Wangen. Ihre Ohrringe waren teuer, aber sie ließen sie dagegen nicht unscheinbar wirken, wie sie es bei e i nem anderen Mädchen getan hätten.
    Da war etwas an ihrem Mund, das mich dazu brachte, ihn ansehen zu wollen. Er war perfekt. Ihre Lippen waren absichtlich leicht geöffnet, so als wüsste sie, dass sie d a durch hübscher aussah, aber die Pose wirkte nicht natü r lich. Ich merkte, dass ich sie anstarrte, und sah schnell weg. Sie lächelte, und ich versuchte zurückzulächeln.
    »Wohnt ihr hier?«, fragte sie. Ich öffnete den Mund. Ve rd ämmt, war sie hübsch! Sie war wie ein Schmuc k stück, das man wegschließen sollte, damit es nicht kaputt ging. Ich klappte den Mund wieder zu.
    »Ja«, antwortete Stirling.
    »Ich auch«, sagte das Mädchen. »Wir sind gerade in die oberste Wohnung gezogen.«
    »Freut mich, dich kennen zu lernen. Ich heiße Stirling, und das ist mein Bruder Leo. Er ist krank. Er wurde beim Training ohnmächtig, aber es geht ihm schon wieder be s ser.« Ich versuchte noch mal zu lächeln – ohne Erfolg.
    »Ich bin Maria«, stellte sie sich vor. »Das hier ist A n selm.« Ich realisierte, dass sie auf das Bündel zeigte und dass es sich dabei um ein Baby handelte.
    »Anselm?«, fragte Stirling.
    »Ja, er ist nach einem Heiligen benannt. Nach einem englischen Heiligen sogar.« Sie stand nun direkt neben uns. Stirling beugte sich zu ihr, um ihn anzusehen.
    »Er ist süß. Und er sieht genauso aus wie du. Ist er dein Bruder?«
    »Nein, es ist meins.«
    »Dein was?« Ich versuchte, Stirlings Arm abzuschü t teln.
    »Meins«, wiederholte sie, und es schien ihr nichts au s zumachen. »Mein

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