Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
verhältnismäßigen Freundlichkeit meiner Kla s senkameraden.
»Nette Jungs an deiner Schule«, bemerkte Maria. Sti r ling fing ihren Blick auf und erstickte fast vor Lachen. »Redet ihr immer so miteinander?«, wollte Maria wissen. Ich nickte. »Leonard D. North war unglaublich witzig. Es hat dich tief getroffen«, sagte sie mit übertriebenem Ernst. »Das war nicht zu übersehen.«
Als wir den Stadtrand erreichten, schütteten wir uns noch immer aus vor Lachen.
»Oh, wie hübsch!«, rief Maria aus, als wir die Kopfstei n pflasterstraße erreichten. »Ich wünschte, ich würde an so einem Ort leben.«
»Ich auch«, sagte Stirling. Er legte die Hände auf die Mauer und stützte das Kinn darauf. »Siehst du die Berge? Da gehen wir hin.«
Aber Maria stand mit dem Rücken zu den Bergen. Sie sah die Häuser an und schien dabei in Gedanken so weit weg zu sein, dass sie nicht antwortete.
»Wir sind seit einer Ewigkeit nicht aus der Stadt rausg e kommen, oder?«, fragte Stirling und wandte sich mir zu.
»Schon seit Jahren nicht mehr«, bestätigte ich.
Maria betrachtete noch immer die Häuser. Sie schien noch nicht weitergehen zu wollen, aber das war in Or d nung – wir hatten es nicht eilig. Stirling und ich standen schweigend neben ihr. Ich überlegte, ob diese Straße sie an ihr altes Leben als Tochter eines Bankiers erinnerte. Wegen der Art, wie sie sprach, hatte ich mir schon g e dacht, dass sie früher reich gewesen sein musste. Alle r dings hatte ich nicht geahnt, wie reich.
»Schaut mal, wer da ist!«, rief Stirling in diesem M o ment, und wir drehten uns beide um. Eine Mietkutsche stand ein Stück die Straße hinunter vor einem Haus, aus dem gerade jemand trat. »Es ist Sergeant Markey«, e r klärte Stirling Maria.
»Also so sieht er aus«, sagte sie. Wir standen da und beobachteten ihn.
»Er hilft jemandem aus der Kutsche«, bemerkte Sti r ling. Sergeant Markey bückte sich und hob ein Kind he r aus. Das Mädchen musste etwa neun oder zehn Jahre alt sein. Sie klammerte sich an Sergeant Markeys Hals fest und fing an zu weinen.
»Ruhig«, sagte er. »Papa hat dich.« Er streichelte ihr über den Kopf.
Die feinen, eisblonden Haare des Mädchens wären wie Stirlings gewesen, wenn er seine nicht kurz getragen hä t te, und es hatte ein hübsches Gesicht, auch wenn es jetzt vom Weinen gerötet war.
»Was ist denn?«, fragte Sergeant Markey. »Was ist denn, mein Engel?« Aber er sagte es so, als erwartete er keine Antwort.
Die Kleine murmelte etwas, während die Augen in i h rem schmalen Gesicht nervös hin und her zuckten. Sie vergrub den Kopf an seiner Schulter und fing wieder an zu weinen. Eine Frau in Uniform, die aussah wie eine Haushälterin oder Krankenschwester, kletterte nun aus der Kutsche und folgte Sergeant Markey ins Haus. Sie schloss die Tür hinter ihnen und schnitt damit das We i nen des Mädchens ab.
Dann herrschte Stille.
»Tja«, sagte ich.
»Hast du nicht gesagt, dass er gemein ist?«, fragte M a ria.
»Ich dachte, das wäre er.«
»Er war sehr nett zu dem kleinen Mädchen. Nicht vi e le Männer kümmern sich so gut um ihre Kinder.«
»Ich wusste noch nicht mal, dass er ein Kind hat.«
»Sie sah krank aus«, sagte Maria. »Ist dir aufgefallen, wi e k nochig ihr Gesicht war? Wahrscheinlich ist sie durch irgendeine Krankheit zum Pflegefall geworden.«
»Ja. So etwas wie das Stille Fieber vermutlich. Armes Mädchen.«
»Kein Wunder, dass er keinen hohen Rang bei der Armee bekleidet«, sagte Maria.
»Wegen des Beherbergens einer Ungeduldeten, meinst du? Deshalb muss er an der Schule unterrichten?«
»Du weißt, wie sie in dieser Hinsicht sind. Ich behau p te nicht, dass es gut ist, wie die Regierung mit kranken Menschen umgeht. Ganz im Gegenteil – ich finde es en t setzlich.«
»Ja.«
Wir schwiegen, und nur um die Stille zu durchbr e chen, schlug ich vor weiterzugehen. »In Ordnung, Sti r ling?« Als ich mich zu ihm umdrehte, sah ich, dass er sich schwer an die Mauer lehnte. »Was ist los?«
»Jungs!« Es war Sergeant Markeys Stimme. Ich wan d te den Kopf und sah, dass er die Stufen vor seinem Haus herunterkam. »Was fällt euch ein, hier herumzulu n gern?«, herrschte er uns auf seine typische Art an.
»Wir können herumlungern, wo wir …« , setzte ich an, doch in diesem Moment rief Maria: »Stirling!« Ich schoss herum. Aber nicht schnell genug, um ihn aufz u fangen, als er ohnmächtig wurde. Er schlug hart auf dem Kopfsteinpflaster auf. Ich fiel neben ihm auf
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