Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
geht.«
»Können Sie bitte mitkommen und nach Stirling s e hen?«, platzte ich heraus. »Er ist krank.«
»Natürlich, ja.« Er stand auf und holte seinen Mantel, den er auf die vorderste Kirchenbank gelegt hatte. »Das kam aber plötzlich, oder?«
»Ja.« Er verließ die Kirche, und ich folgte ihm. »Er hustet seit ein paar Tagen, und dann ist er plötzlich oh n mächtig geworden, und seitdem geht es ihm sehr schlecht.«
Wir hasteten über den Marktplatz und dann bergauf in Richtung Zitadellstraße. Währenddessen rief Pater Du n stan mir gelegentlich eine Frage zu. Er lief voraus, und ich trabte hinter ihm her.
»Glauben Sie, dass es etwas Ernstes ist?«, fragte ich, nachdem ich ihm die Symptome aufgezählt hatte.
»Das kann ich noch nicht sagen. Aber manche Kran k heiten scheinen auf den ersten Blick ernst zu sein, bevor sie sich als recht harmlos entpuppen. Wollen wir hoffen, dass das auch in diesem Fall zutrifft.«
Maria war noch immer da, als ich zurückkehrte, und ich war froh über ihre Gesellschaft, während ich im Woh n zimmer wartete. Pater Dunstan war nebenan bei Gro ß mutter und Stirling, und ich konnte zwar ihre gedämpften Stimmen hören, aber kein Wort verstehen und auch i h rem Tonfall nichts entnehmen. Geistesabwesend hob ich Großmutters Näharbeit auf, stach mich mit der Nadel in den Finger, fluchte und ließ sie wieder fallen. Maria b e merkte es nicht. Sie starrte aus dem Fenster.
»Maria?«, sagte ich nach einer Weile. »Was war das noch mal, was du da in der Zeitung gelesen hast? Über Krankheiten, die mit einem Verlust des Empfindung s vermögens anfangen?« Sie drehte sich zu mir um. »Du hast es gestern erwähnt.«
»Ach, ja«, sagte sie. Aber sie sprach nicht weiter.
Die Zeitung vom Vortag lag auf dem Tisch, und ich griff jetzt danach. »Steht es in der hier?«
»Ich … ich glaube schon, ja. Aber es war kein sehr s e riöser Artikel. Du hast selbst gesagt, dass diese Zeitung …« Sie verstummte, als ich durch die Seiten zu blättern b e gann.
Ich ging sie einmal durch, dann, ungeduldig, noch ein zweites Mal. Sie nahm sie mir aus der Hand und schlug eine Seite im hinteren Teil auf, die sie anschließend übe r flog, ohne sie mir zu zeigen. Ich beugte mich über ihre Schulter, um die Schlagzeile zu lesen. »Als ich zurüc k kam, stellte ich fest, dass ich angeschossen worden war.«
»Das klingt nach einem Witz«, sagte ich, obwohl ich nicht lachte. »Halt sie ruhig – deine Hand zittert.«
Sie redete nicht, während ich den Artikel las. Es war die wahre Geschichte eines Soldaten, der glaubte, bei einer Schlacht gerade noch mal mit heiler Haut davong e kommen zu sein. Er ritt allein zurück ins Lager. Als er dort ankam, sah er, dass sein Bein blutete, und er begriff, dass er angeschossen worden war. Aber er konnte keinen Schmerz spüren.
Ich sah zu Maria hoch, aber sie sagte noch immer nichts. »Was hatte er, dieser Soldat?«, fragte ich leise. »Was für eine Krankheit?«
»Das Stille Fieber …«
Ich starrte auf die Seite hinunter. Die Worte ve r schwammen vor meinen Augen. Ich versuchte weiterz u lesen, aber ich konnte nicht.
»Sie glauben, dass es ein anderer Erreger ist«, erklärte Maria. »Sie nennen es das schleichende Stille Fieber.«
»Was steht da sonst noch?«
»Dass sie diese Krankheit gerade erst entdeckt haben. Ein paar der Symptome sind anders, deshalb haben sie es für eine völlig andere Krankheit gehalten. Es wird nicht von Mensch zu Mensch übertragen wie das herkömml i che Stille Fieber, sondern wie diese Sumpfkrankheit, die man von schlechtem Trinkwasser bekommt. Sie dachten zunächst, dass es so etwas in der Art wäre. Aber dann haben sie im Grenzgebiet festgestellt, das s m anche an dieser Krankheit litten, nachdem sie in Kontakt mit Me n schen gekommen sind, die den Erreger des Stillen Fi e bers in sich tragen.«
Sie ließ den Finger über die Seite gleiten, und ich fol g te ihm, während sie vorlas. »Die Krankheit beginnt i m mer mit einem zeitweiligen Verlust der Sinneswahrne h mung – in den meisten Fällen das Seh- oder das Hörve r mögen, aber oft können auch der Geschmacks- und der Geruch s sinn oder gelegentlich sogar das Schmerzempfinden ve r loren gehen, so wie in oben beschriebenem Fall.«
Ich sah Maria an. Keiner von uns sagte etwas. In di e sem Moment stieß Großmutter im Nebenzimmer einen Schrei aus. Wir sprangen beide sofort auf und starrten uns mit blankem Entsetzen an.
An der Schlafzimmertür verharrte Maria
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