Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
ist. Er wird nicht immer ein Baby bleiben, sondern solche Sachen schon bald mitmachen können. Dann können wir ihn immer noch mitnehmen.«
»Es kommt mir trotzdem unfair vor«, beharrte er.
»Als du ein Baby warst, haben sie dich wahrscheinlich auch daheim gelassen«, sagte Maria. »So ist das nun mal. Und außerdem würde er lieber zu Hause bleiben. Er ist gern zu Hause.«
»Na schön. Aber wir werden es wiedergutmachen müssen.«
Sie lachte. »Erinnere dich daran, Stirling, und in ein paar Jahren nehmen wir ihn zu einem Picknick mit und erzählen ihm, dass du es versprochen hattest.« Anselm war für einen Moment ganz still und sah zu uns hoch, so als wüsste er, dass wir über ihn sprachen.
»Ich werde es nicht vergessen«, sagte Stirling.
Am Freitagabend hustete Stirling wieder. »Frierst du?«, fragte Großmutter. Sie fühlte seine Stirn. »Nein, du bist warm. Ich hoffe, du hast kein Fieber.«
»Mir fehlt nichts«, sagte Stirling und beharrte darauf, dass es ihm gut genug ginge, um zur Messe zu gehen.
»Hoffentlich brütest du nichts aus«, meinte Großmu t ter, als sie sich auf den Weg zur Kirche machten. »Ich finde, dass wir im letzten Jahr schon genug Krankheiten hatten.« Als sie sah, wie er die Treppe hinuntersprang, musste sie plötzlich lachen. »Vielleicht bin ich einfach zu ängstlich. Seit diesem Vorfall mit Leo beim Training, als ihr auf so dramatische Weise heimgekommen seid, habe ich mir um euch Jungs einfach zu viele Sorgen gemacht.«
»Ich schätze, dass dieser Husten morgen verschwu n den ist«, sagte ich zu ihr.
Ich stieß unten im Hof auf Maria, und wir standen am Tor und unterhielten uns eine Weile. Als ich mich dann zur Tür umwandte, griff sie nach meinem Arm. »Geht es Stirling wieder gut?«
»Seine Hand tut ihm weh. Warum fragst du?«
»Nur so.« Aber sie ließ meinen Arm nicht los. »Ich habe nu r g edacht – eine Menge Krankheiten beginnen mit dem Verlust von, na ja, körperlichen Fähigkeiten. Ich habe in der Zeitung darüber gelesen …«
»Mit dem Verlust des Seh- oder Hörvermögens. Nicht des Empfindungsvermögens. Und du weißt, wie diese Zeitung ist.«
»Stimmt«, sagte sie und lachte, aber sie klang nicht überzeugt. »Weißt du, wir können das Picknick auch an einem anderen Wochenende machen.« Dann kamen die Kinder aus dem ersten Stock auf den Hof gerannt und knallten laut die Tür hinter sich zu. Maria ließ meinen Arm los und lächelte mich an. »Ich schätze, es ist nichts, weswegen man sich Gedanken machen müsste. Es war nur, weil er gehustet hat, und da habe ich überlegt, ob es ihm jetzt wieder gut geht.«
»Morgen ist er wieder gesund. Wart ’ s ab.«
Und das war er. Als er aufwachte, war sogar der Husten verschwunden. Ich konnte sehen, dass Großmutter ihn lieber zu Hause behalten hätte, aber er war fest entschlo s sen mitzukommen. »Es geht mir gut«, beharrte er und hüpfte ausgelassen in der Küche herum, während wir das Essen für unser Picknick einpackten. Wir hatten e t was Brot, ein kleines Stück Käse – alles, was noch übrig war – und ein paar Äpfel, die ein bisschen zu alt waren. Nicht gerade ein Festmahl.
»Nimm das Tuch, um die Äpfel zu polieren, Stirling, nicht dein Hemd«, sagte Großmutter, die gedanke n versunken in der Küchentür stand. »Bist du dir sicher, dass du dich gut genug fühlst, um mitzugehen?«
»Ganz sicher.«
Großmutter öffnete den Mund, um noch etwas zu s a gen, aber da klopfte es an der Tür.
»Das ist bestimmt Maria«, rief Stirling und rannte hin, um zu öffnen.
Maria hatte einen Korb dabei, in dem eine Menge Obst und Gemüse waren, aber sonst fast nichts. Trotzdem hatten wir genügend Brot, und die Äpfel, die sie mitg e bracht hatte, waren besser als unsere. Maria und ich set z ten uns hin und unterhielten uns, während Stirling und Großmu t ter das Essen fertig einpackten.
»Kommt, lasst uns gehen«, verlangte Stirling wenig später und zog uns beide zur Tür hinaus.
»Passt auf euch auf«, rief Großmutter uns hinterher. Als wir die Treppe hinuntergingen, lächelten wir uns g e genseitig an, so als wären wir Kinder, die zum ersten Mal allein rausgehen dürfen. Es war seltsam, das Haus z u sammen mit Maria zu verlassen.
»Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, dass du etwas vergessen hast«, sagte ich zu ihr, als wir durch die Se i tentür gingen.
»Was meinst du?«
»Anselm.«
Sie lachte. »Ja, es ist merkwürdig, ohne ihn zu sein.«
Mit dem Korb an ihrem Arm wirkte Maria wie
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