Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
erledigen müssen, kann ich gern kommen und bei Sti r ling sitzen, oder ich könnte auch für Sie einkaufen g e hen.« Dann folgte wieder gedämpftes Gemurmel.
»Das ist sehr nett von dir«, hörte ich Großmutters Sti m me.
»Ich mache das gern.« Maria sagte es ganz ernsthaft, nicht so, wie die Menschen es normalerweise sagen, weil die Gewohnheit sie die Bedeutung ihrer Worte hat verge s sen lassen. Wenn Maria etwas sagte, meinte sie es auch so.
Wenig später kam Großmutter an die Schlafzimme r tür. »Das war Maria«, berichtete sie im Flüsterton, um Stirling nicht zu wecken. »Sie ist ein sehr nettes Mä d chen, weißt du. Wirklich sehr nett.«
»Das stimmt.«
»Sie hat uns ihre Hilfe angeboten. Und sie hatte selbst schon mal das Stille Fieber – hättest du das gedacht? A l so genesen doch viele Menschen davon; es hat bei ihr keine Schäden hinterlassen.«
Ich nickte.
»Viele Leute hätten Angst, ein Baby in Stirlings Nähe zu bringen«, fuhr Großmutter fort. »Aber ich halte Maria für ein vernünftiges Mädchen, sie weiß, was gefährlich ist und was nicht.
Sie sagt, wenn man das Stille Fieber einmal hatte, b e deutet das, dass deine Kinder immun dagegen geboren werden. Als sie es hatte, ist sie von einem ausgebildeten Arzt untersucht worden, und der hat ihr das gesagt.«
»Diese Form ist so oder so nicht ansteckend. Zumi n dest glaube ich das. Was stand da noch mal in der Ze i tung?«
Der Artikel über den Soldaten lag immer noch aufg e schlagen auf dem Tisch, und sie überflog ihn jetzt wi e der. Wir hatten ihn beide schon mehrere Male gelesen. Er ergab für keinen von uns wirklich Sinn, aber er war, a b gesehen von dem, was Pater Dunstan uns gesagt hatte, das Einzige, worauf wir uns stützen konnten.
»Du solltest dich besser beeilen, sonst kommst du zu spät zur Schule«, sagte Großmutter und sah auf. »Du hast nicht gefrühstückt. Und gestern hast du auch nichts g e gessen.«
»Ich hab keinen Hunger.«
»Jetzt geh und hol dir was zu essen.«
Ich würgte ein trockenes Stück Brot hinunter, schnitt ein paar Scheiben für mein Mittagessen ab, schnappte mir einen Apfel und stopfte ihn in die Jackentasche. »Wir sehen uns heute Abend«, sagte ich. »Mach dir keine So r gen, falls ich spät komme.«
Kaum hatte ich die Tür hinter mir zugeschlagen, wünschte ich mir, dass ich mich von Stirling verabschi e det hätte. Aber er würde immer noch da sein, wenn ich zurückkam.
Ich ging nie allein zur Schule, und es jetzt zu tun, b e unruhigte mich. Jeder einzelne Schritt erinnerte mich daran, dass Stirling krank war, und als ich schließlich das Tor erreichte, war ich beinahe zu verängstigt, um reinz u gehen. Man muss in der Schule stark sein. Ich wollte umkehren, aber ich tat es nicht.
»Wir haben dich am Wochenende gesehen, North«, verkündete Seth Blackwood, als ich das Klassenzimmer betrat. Normalerweise behandelten mich alle mit kalter Gleichgültigkeit.
»Ich weiß. Ich habe mit dir gesprochen.«
»Ich wusste gar nicht, dass du eine Freundin hast«, fügte Isaac hinzu.
»Eine Freundin? Na ja …« Ich war mit den Gedanken ganz woanders.
»Ein verdammt hübsches Mädchen noch dazu«, ve r kündete Isaac dem restlichen Zug.
»Sie …« , setzte ich wieder an – aber sie hörten mir nicht zu, und ich war zu müde für Erklärungen.
Nachdem wir es durch den halben Vormittag geschafft hatten, gab es plötzlich neues Getuschel. Es war mir g e rade erst aufgefallen, als Seth Blackwood mir durch das Klassenzimmer zurief: »North, stimmt es, dass dein Br u der das Stille Fieber hat?«
Ich schluckte. »Ja.«
Er fluchte leise, und in seiner Stimme lag Mitgefühl.
»Was machst du in der Schule?«, wollte ein anderer wissen. »Du könntest es übertragen.«
»Es ist das schleichende Stille Fieber. Das ist nicht a n steckend.«
»Woher weißt du das?«
Ich machte mir nicht die Mühe zu antworten. Wo auch immer ich an diesem Tag hinsah, hörte irgendj e mand zu arbeiten auf und starrte mich an. Ich wünsc h te, sie wü r den es nicht tun, weil es mir das Gefühl gab, zu ersticken – ich hatte solche Angst um Stirling; so l che Angst, dass er sterben könnte, und ständig be o bachtete mich jemand. Ich war es gewohnt, unsichtbar zu sein.
Ich kam an diesem Nachmittag wieder spät heim. Ich zwang mich, die Tür schnell aufzustoßen, sonst hätte ich es gar nicht getan – ich dachte plötzlich, dass Stirling nicht mehr da wäre. Aber ich sah sofort, dass die Schla f zimmertür offen
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