Mansfield Park
Everingham gereist, dann hätte er sich dadurch aller Wahrscheinlichkeit nach sein Glück gesichert. Doch man drang in ihn, zu Mrs. Frasers Gesellschaft zu bleiben, man schmeichelte ihm, daß seine Anwesenheit notwendig wäre. Er sollte dort Mrs. Rushworth treffen. Seine Neugier, seine Eitelkeit waren geweckt, und die Verlockung erwies sich als zu stark für ein Gemüt, das nicht gewöhnt war, der Pflicht ein Vergnügen zu opfern. Er beschloß, seine Reise nach Norfolk aufzuschieben, beschloß, daß ein Brief den gleichen Dienst tun würde oder daß es überhaupt nicht wichtig wäre – und blieb. Er sah Mrs. Rushworth wieder. Sie begegnete ihm mit einer Kälte, die ihn zurückweisen und ihm ihre Gleichgültigkeit unmißverständlich dartun sollte. Das verletzte sein Selbstgefühl. Er fand es unerträglich, daß eine Frau, über deren Herz er noch kürzlich geboten hatte, jetzt scheinbar nichts mehr von ihm wissen wollte. Mußte er nicht alles daran setzen, ihren so hochmütig zur Schau getragenen Groll alsbald zu überwinden? Sie zürnte ihm Fannys wegen. Um so mehr reizte es seine Eitelkeit, sie aufs neue zu erobern und Mrs. Rushworth dazuzubringen, ihm ebenso freundlich zuzulächeln, wie Maria Bertram es getan.
So leichtfertig begann er seinen Angriff und hatte durch seine Lebhaftigkeit und Beharrlichkeit bald wieder die Art von vertraulichem Verkehr – von Courschneiderei – von Flirt – hergestellt, über die seine Wünsche nicht hinausgingen. Doch indem er über ihre betonte Zurückhaltung triumphierte, die zwar keinem edleren Gefühl als ihrem Zorn entsprang, aber beide vor Schlimmerem bewahrt hätte, erlag er selbst der Macht ihrer Leidenschaft, die heftiger war, als er ahnte. – Sie liebte ihn. Er konnte nicht mehr zurück. Er hatte sich im Netz seiner eigenen Eitelkeit gefangen – ohne eine Spur von Liebe, die sein Verhalten allenfalls entschuldigt hätte, aber auch ohne jede Absicht, ihrer Cousine wirklich untreu zu werden. Seine größte Sorge war, daß Fanny und die Bertrams nichts von seiner kleinen Eskapade erfahren sollten; sie geheimzuhalten konnte für Mrs. Rushworths Ruf nicht lebenswichtiger sein als für seinen eigenen. – Als er von Richmond zurückkehrte, wäre er froh gewesen, Mrs. Rushworth nie wieder zu begegnen. – Alles weitere war die Folge ihrer eigenen Unbesonnenheit, und er ging schließlich mit ihr durch, weil ihm nichts anderes übrigblieb; selbst in diesem Augenblick dachte er mit tiefem Bedauern an Fanny, doch unvergleichlich größer war seine Reue, als der erste Reiz der Intrige dahin war und sehr wenige Monate ihn durch die Macht der Kontrastwirkung gelehrt hatten, ihr sanftes Wesen, ihr reines Gemüt und ihre unerschütterlichen Grundsätze höher denn je zu schätzen.
Die Forderung, daß die Strafe der öffentlichen Verachtung in entsprechendem Maß auch den Mann treffen sollte, gehört bekanntlich nicht zu den Schranken, die die Gesellschaft gegen das Laster aufrichtet. Die Bußen, die in dieser Welt verhängt werden, sind weniger gerecht, als man wünschen könnte. Doch auch ohne uns zu erdreisten, von höherer Vergeltung zu sprechen, dürfen wir wohl annehmen, daß ein Mensch von Henry Crawfords Verstand seine Schuld schon hienieden durch kein geringes Maß an Ärger und Bedauern büßte – Ärger, der bis zu den schwersten Selbstanklagen, und Bedauern, das bis zur Verzweiflung gehen mußte, wenn er bedachte, auf welche Weise er Gastfreundschaft gelohnt, den Frieden einer Familie zerstört, sich die besten, schätzenswertesten und teuersten Freunde verscherzt und dadurch die Frau verloren hatte, die er nicht nur aufs höchste achtete, sondern auch leidenschaftlich liebte.
Nach allen Ereignissen, die die beiden Familien so tief verwundet und einander entfremdet hatten, wäre es für die Bertrams und die Grants höchst peinlich gewesen, weiterhin in so enger Nachbarschaft zu leben. Doch die Abwesenheit der letzteren, die sie mit Absicht auf einige Monate ausdehnten, endete glücklicherweise mit der Notwendigkeit oder wenigstens der Durchführbarkeit ihrer endgültigen Übersiedlung nach London. Es gelang Dr. Grant, durch Beziehungen, auf die er kaum mehr Hoffnungen gesetzt hatte, einen Chorstuhl in Westminster zu erhalten – was als willkommene Gelegenheit, Mansfield zu verlassen und mit einem beträchtlich erhöhten Einkommen in London zu leben, den Abziehenden ebenso wünschenswert schien wie den Zurückbleibenden.
Mrs. Grant mit ihrem liebevollen und
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