Manta 02 - Orn
Extrapolationen lagen ihm nicht besonders gut. Wäre ihm der Säuger vertraut gewesen, sollte er ihn im Kampf besiegt haben können. Schließlich war er Orn. Aber so wie die Lage war, würde er dessen Mahlzeit werden.
Das Tier sprang.
Mit uncharakteristischer Inspiration stellte Orn es sich als ein laufendes Reptil gleicher Masse vor und reagierte entsprechend. Er riß einen Fuß hoch, breitete zur Balance die Flügel aus und schlug nach der empfindlichen Nase.
Der Schlag ging fehl, weil der Karnivore schneller als ein Reptil war und eine kürzere Schnauze hatte. Aber seine Kralle traf das Tier im Nacken und riß eine blutige Furche in seine behaarte Haut, was bei einem Reptil dessen Schuppen verhindert hätten. Er ließ einen weiteren Schnabelhieb folgen und traf das spitze, lappige Ohr.
Der Karnivore heulte auf und schnappte nach der Seite, aber Orn war schon aus seiner Reichweite. Wieder riß er den Fuß hoch, und diesmal erwischte er mit seinem Schlag das muskulöse Kinn. Fleisch wurde aus der Wange gerissen, als Orn die Kralle durchzog. Blut und heißer Speichel spritzten hervor. Erneut schnappte es seitlich zu, dort wo sich die Verletzung befand. Und weil dies genau das war, was auch ein Reptil getan hätte, war Orn darauf vorbereitet. Sein Schnabel stieß in den Augapfel hinein, durchbohrte das Gehirn und tötete das Tier abrupt.
Abermals schlug Orn zu, weil er auf die größere Widerstandsfähigkeit eines Reptils reagierte. Er hatte den Körper aufgerissen, bevor ihm klar wurde, daß der Gegner nicht mehr kämpfte.
Er trat zurück und betrachtete den Karnivoren in dem Bewußtsein, daß er Glück gehabt hatte zu überleben. Hätte er sich nicht auf ein Erinnerungsbild besonnen, das ihn befähigte, irgend etwas wirkungsvoll zu bekämpfen, würde der Karnivore jetzt auf seinen Leichnam hinunterblicken.
Aber er verschwendete keine überflüssige Zeit mit Nachdenken. Er setzte die Arbeit des Sezierens fort und studierte jedes weiche Organ, bevor er es verzehrte. Als sein Kröpf gefüllt war, hatte er ein viel besseres Wissen über diesen Säuger. Sollte er mit einem anderen kämpfen müssen, würde er besser vorbereitet sein. Aber er würde nicht freiwillig in einen solchen Kampf hineingehen - nicht gegen dieses geschmeidige, mit Krallen und Zähnen versehene Monster! Es war besser, Karnivoren und alle größeren Säuger zu meiden. Aber sie gaben eine vorzügliche Mahlzeit ab.
VI Cal
Mit abgeblendetem Licht lag Cal im Bohrloch, unmittelbar unter der Winde. Circe stand darüber. Er bezweifelte, daß die Mantas irgend etwas besaßen, das menschlichen Gefühlen ähnelte, und sie waren mit Sicherheit geschlechtslos. Aber es sah so aus, als ob Circe weiblich wäre und Aquilons Interessen im Auge behielt. Die anderen Mantas blieben unten. Sie beteiligten sich nicht an den menschlichen Aktivitäten und hockten neben den Vorräten wie eine Gruppe von Waldpilzen. Circe war die ganze Zeit über bei Aquilon gewesen und ließ sie als einzige niemals allein, und jetzt hatte dieser Manta sicher etwas von Aquilons Ausstrahlung übernommen. Vielleicht hatte irgendeine Mantalotterie entschieden, welcher Manta sich welchem Menschen an- schließen sollte, aber Cal argwöhnte, daß noch mehr dahintersteckte.
Es war zu einfach, alle Mantas zu personifizieren. Sie waren in der Tat fremdartig. In Wirklichkeit war der Mensch in gewisser Weise mehr mit den Vögeln, den Schlangen oder Spinnen" verwandt als mit diesen Intelligenzen des Dritten Königreichs auf Nacre. Auf jenem fernen Planeten hatte sich ein Protoplasmakeim, der dem Schimmel ähnlich war, zu komplexen, bewegungsfähigen Formen entwickelt, die das ganze Königreich der Tiere verdrängt hatten. Über die innere Chemie der Nacrewesen gab es weitgehend nur Mußmaßungen, da ihre Körperenergien durch das Brechen organischer Substanzen entstanden, nicht durch ihren Aufbau. Die Mantas waren die Krone der fungoiden Evolution, ungefähr in der gleichen Weise, in der der Mensch das Endprodukt der tierischen Evolution auf der Erde war - bis jetzt. Die erstaunlichste Tatsache war, wie sehr sich die beiden Arten auf den Gebieten ähnelten, die wirklich zählten. Der Mensch besaß zwei Augen, der Manta eins. Der Mensch besaß ein machtvolles Gehirn. Das des Mantas war weniger leistungsfähig, jedoch fähig, viel effektiver zu kommunizieren. Der Mensch war ein Omnivore, ein Allesfresser, der Manta ein Karnivore, im Rahmen seiner Lebensumstände gesehen. Genau genommen
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