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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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trinkt. Deine Nase glänzt.« Alice' Gesicht
erstarrt, Abneigung und eine gewisse Angst zeichnen sich darauf ab. Die
jüngeren Frauen, die alles verstehen können, was gesagt wird, senken die Köpfe
und betrachten ihre Hände, spielen an ihren Ringen und drehen sie so, dass sie
das Licht einfangen. Mit einem dumpfen Schlag landet etwas auf dem Tisch, und
Anne Cresacre, so erschrocken, dass sie in ihre Muttersprache verfällt, ruft:
»Henry, hör auf damit!« Über ihnen ist eine Galerie mit Erkerfenstern; der Narr
beugt sich durch eine der Öffnungen und bewirft sie mit Brocken von
Brotkrusten. »Erschrecken Sie nicht, Masters«, ruft er. »Ich bewerfe Sie mit
Gott.«
    Er erzielt einen Treffer, und
der alte Mann wacht erschrocken auf. Sir John sieht verwirrt in die Runde; mit
seiner Serviette wischt er sich das besabberte Kinn ab. »Hör zu, Henry«, ruft
More nach oben. »Du hast meinen Vater geweckt. Und du lästerst Gott. Und du
verschwendest Brot.«
    »Herr im Himmel, er sollte
ausgepeitscht werden«, blafft Alice.
    Er sieht sich um; er fühlt
etwas, das er als Mitleid erkennt, eine heftige Regung unterhalb des
Brustbeins. Er glaubt, Alice hat ein gutes Herz, glaubt es sogar dann noch, als
er sich verabschiedet und die Erlaubnis hat, ihr auf Englisch zu danken. Sie
sagt geradeheraus: »Thomas Cromwell, warum heiraten Sie nicht wieder?«
    »Keine will mich, Lady Alice.«
    »Unsinn. Ihr Herr mag am Ende
sein, aber Sie sind nicht arm, oder? Sie haben Ihr Geld im Ausland, wie man
hört. Sie haben ein schönes Haus, nicht wahr? Sie haben das Gehör des Königs,
sagt mein Mann.
    Und nach allem, was meine
Schwestern in der City sagen, ist auch ansonsten alles funktionsfähig.«
    »Alice!«, sagt More. Lächelnd
ergreift er ihr Handgelenk und schüttelt sie ein wenig. Gardiner lacht: das
tiefe Bassglucksen klingt wie Gelächter, das aus einer Erdspalte dringt.
    Als  sie zur Barke des Ersten
Sekretärs hinausgehen, liegt der Duft der Gärten schwer in der Luft. »More geht
um neun zu Bett«, sagt Stephen.
    »Mit Alice?«
    »Nein, heißt es.«
    »Haben Sie Spione im Haus?«
    Stephen antwortet nicht.
    Es wird dunkel, Lichter tanzen
auf dem Fluss. »Guter Gott, bin ich hungrig«, beklagt sich der königliche
Sekretär. »Ich wünschte, ich hätte eine der Brotkrusten des Narren eingesteckt.
Ich wünschte, ich hätte mir den weißen Hasen geschnappt; ich würde ihn roh
aufessen.«
    »Er wagt es nicht, offen zu
sein«, bemerkt er.
    »In der Tat, das wagt er
nicht«, sagt Gardiner. Er sitzt zusammengekauert unter der Überdachung, als
sei ihm kalt. »Aber wir alle kennen seine Ansichten, und ich glaube, sie sind
unumstößlich und unempfänglich für Argumente. Als er sein Amt antrat, sagte
er, er würde sich nicht in die Scheidung einmischen, und der König hat es
akzeptiert, aber ich frage mich, wie lange er das noch akzeptieren wird.«
    »Ich meinte nicht: offen
gegenüber dem König; sondern gegenüber Aice.«
    Gardiner lacht. »Das ist wahr.
Wenn sie verstanden hätte, was er über sie gesagt hat, hätte sie ihn in die
Küche geschickt und rupfen und braten lassen.«
    »Angenommen, sie stirbt. Dann
würde er es bedauern.«
    »Er hätte eine neue Frau im
Haus, bevor sie kalt wäre. Eine noch hässlichere sogar.«
    Er überlegt: sieht vage die
Möglichkeit voraus, eine Wette abzuschließen. »Diese junge Frau«, sagt er.
»Anne Cresacre. Sie ist eine Erbin, wussten Sie das? Eine Waise?«
    »Gab es da nicht irgendeinen
Skandal?«
    »Nach dem Tod ihres Vaters
haben die Nachbarn sie sich geschnappt, weil ihr Sohn sie heiraten sollte. Der
Junge hat sie vergewaltigt. Sie war dreizehn. Es war in Yorkshire ... so führen
sie sich dort auf. Mylord Kardinal war erbost, als er davon erfuhr, und hat sie
da weggeholt. Er hat sie unter Mores Obhut gegeben, weil er glaubte, dort sei
sie sicher.«
    »Das ist sie doch.«
    Nicht sicher vor Demütigungen.
»Mores Sohn hat sie geheiratet, also lebt er von ihren Ländereien. Sie bekommt
einhundert im Jahr. Man würde denken, sie könnte sich eine Perlenkette
leisten.«
    »Glauben Sie, More ist von
seinem Jungen enttäuscht? Er zeigt kein Talent für öffentliche Angelegenheiten.
Na ja, ich habe gehört, Sie haben auch so einen Jungen. Sie werden bald nach
einer Erbin für ihn Ausschau halten.« Er antwortet nicht. Es ist wahr; John
More, Gregory Cromwell - was haben wir mit unseren Söhnen gemacht? Wir haben
sie zu untätigen jungen Herren erzogen - aber kann man uns Vorwürfe machen, weil
wir

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