Mantel, Hilary
ihnen eine Bequemlichkeit bieten wollten, die wir selbst nicht hatten?
Eines muss man More lassen, er war nie auch nur eine Stunde untätig, er hat
sein Leben mit Lesen und Schreiben verbracht und sich in seinen Reden für das
eingesetzt, was er für das Wohl der christlichen Gemeinschaft hält. Stephen
sagt: »Sie könnten natürlich noch mehr Söhne bekommen. Freuen Sie sich nicht
auf die Frau, die Alice für Sie finden wird? Sie konnte Sie ja nicht genug
loben.«
Er fürchtet sich. Es ist wie
bei Mark, dem Lautenspieler: Die Leute fantasieren sich etwas zusammen, das sie
nicht wissen können. Er ist sich sicher, dass er und Johane das Geheimnis
gehütet haben. Er sagt: »Denken Sie je ans Heiraten?«
Ein kühler Hauch breitet sich
auf dem Wasser aus. »Ich bin ein Geistlicher.«
»Ach, hören Sie, Stephen. Sie
müssen doch Frauen haben. Ist es nicht so?«
Die darauf folgende Pause ist
so lang, so still, dass er die Riemen hören kann, wenn sie in die Themse
tauchen, das leise Plätschern, wenn sie wieder auftauchen; er kann die Wellen
in ihrem Kielwasser hören. Er kann einen Hund bellen hören, am Südufer. Der
Sekretär fragt: »Was ist denn das für eine Putney-Frage?«
Das Schweigen hält bis
Westminster an. Aber im Ganzen: keine allzu schlimme Fahrt. Wie er anmerkt,
als er von Bord geht, hat keiner von ihnen den anderen in den Fluss geworfen.
»Ich warte, bis das Wasser kälter ist«, sagt Gardiner. »Und bis ich Gewichte
an Ihnen festbinden kann. Sie haben den Dreh raus, wieder aufzutauchen,
stimmt's? Übrigens, warum bringe ich Sie eigentlich nach Westminster?«
»Ich besuche Lady Anne.«
Gardiner ist gekränkt. »Das
haben Sie aber nicht gesagt.«
»Soll ich Ihnen alle meine
Pläne unterbreiten?«
Er weiß, dass Gardiner das
gerne so hätte. Man hört, dass der König die Geduld mit seinem Kronrat
verliert. Er schreit sie an: »Der Kardinal war ein besserer Mann als ihr alle
zusammen, er hat die Angelegenheiten weitaus besser geregelt.« Wenn Mylord
Kardinal zurückkommt, denkt er bei sich - was durch eine Laune des Königs
jederzeit passieren kann -, dann seid ihr alle tot: Norfolk, Gardiner, More.
Wolsey ist ein Mann, der Gnade walten lässt, aber sicherlich: nur bis zu einem
bestimmten Punkt.
Mary Shelton ist da; sie hebt
den Kopf, setzt ein geziertes Lächeln auf. Anne sieht prachtvoll aus in ihrem
Nachtgewand aus dunkler Seide. Ihr Haar ist offen, ihre zarten Füße stecken
nackt in Pantoffeln aus Ziegenleder. Sie liegt zusammengesunken in einem
Sessel, als hätte der Tag ihr die Lebensgeister ausgetrieben. Und trotzdem, als
sie aufsieht, funkeln ihre Augen, ihr Blick ist feindselig. »Wo waren Sie?«
»In Utopia.«
»Oh.« Sie ist interessiert.
»Was hat sich zugetragen?«
»Dame Alice hat einen kleinen
Affen, der bei Tisch auf ihrem Schoß sitzt.«
»Ich kann Affen nicht ausstehen.«
»Das weiß ich.«
Er geht umher. Anne gestattet
ihm, sie relativ normal zu behandeln, außer sie hat plötzlich einen heftigen
Anfall von Ich-die-ich-Königin-sein-werde und staucht ihn zusammen. Sie
betrachtet die Spitze ihres Pantoffels. »Die Leute sagen, dass Thomas More in
seine eigene Tochter verliebt ist.«
»Sie könnten recht haben.«
Anne kichert. »Ist sie ein
hübsches Mädchen?«
»Nein. Aber gebildet.«
»Haben sie über mich geredet?«
»Sie werden im Hause More
nicht erwähnt.« Er denkt, wie gerne würde ich Alice' Urteil hören.
»Worüber wurde denn dann gesprochen?«
»Die Laster und Torheiten der Frauen.«
»Ich vermute, Sie haben sich
daran beteiligt. Jedenfalls ist es wahr. Die meisten Frauen sind töricht. Und
boshaft. Ich habe es erlebt. Ich habe zu lange unter Frauen gelebt.«
»Norfolk und Mylord, Ihr
Vater, sind damit beschäftigt, Botschafter zu treffen. Die Frankreichs und
Venedigs, den Mann des Kaisers - alle in den letzten beiden Tagen.«
Er denkt: Sie wollen meinem
Kardinal eine Falle stellen. Ich weiß es.
»Ich hätte nicht gedacht, dass
Sie sich so gute Informationen leisten können. Obwohl erzählt wird, dass Sie
tausend Pfund für den Kardinal ausgegeben haben.«
»Ich erwarte, dass ich sie
zurückbekomme. Von hier und dort.«
»Vermutlich sind die Leute
Ihnen dankbar. Wenn ihnen Land aus dem Besitz des Kardinals übereignet wurde.«
Er denkt: Dein Bruder George,
Lord Rochford, dein Vater Thomas, Earl von Wiltshire, sind sie nicht durch den
Fall des Kardinals reich geworden? Sieh dir an, wie George sich jetzt kleidet,
sieh dir an, was er für
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