Mantel, Hilary
Pferde und Mädchen ausgibt; aber ich kann bei den
Boleyns keinerlei Anzeichen von Dankbarkeit erkennen. Er sagt: »Ich nehme
lediglich meine Notargebühr.«
Sie lacht. »Dafür sehen Sie
aber gut aus.«
»Ach, wissen Sie, es gibt Wege
und Wege ... Manchmal erzählen mir die Leute einfach etwas.«
Es ist eine Einladung. Anne
lässt den Kopf sinken. Sie steht kurz davor, in den Kreis dieser Leute
aufgenommen zu werden. Aber vielleicht nicht heute Abend. »Mein Vater sagt, man
kann sich bei dieser Person nie sicher sein, man kann nie genau sagen, für wen
er arbeitet. Ich hätte gedacht - aber ich bin natürlich nur eine Frau -, es ist
ganz offensichtlich, dass Sie für sich selbst arbeiten.«
In dem Punkt gleichen wir uns,
denkt er - spricht es aber nicht aus.
Anne gähnt, ein kleines
katzengleiches Gähnen. »Sie sind müde«, sagt er. »Ich werde gehen. Übrigens,
warum haben Sie nach mir geschickt?«
»Wir möchten gerne darüber
informiert sein, wo Sie sind.«
»Und warum schickt Ihr Herr
Vater nicht nach mir oder Ihr Bruder?« Sie sieht auf. Es mag spät sein, aber
nicht zu spät für Annes wissendes Lächeln. »Sie glauben nicht, dass Sie kommen
würden.«
August: Der Kardinal schreibt
an den König; einen Brief voller Klagen, in dem er ihm mitteilt, dass er von
seinen Gläubigern gejagt werde, dass »Elend und Furcht« ihn bedrängen - aber
die Geschichten, die in London ankommen, klingen anders. Er lädt den gesamten
örtlichen Adel zu Abendessen ein. Er verteilt Almosen im gewohnt fürstlichen
Stil, schlichtet Rechtsstreitigkeiten und beschwatzt einander entfremdete
Eheleute, wieder unter demselben Dach zu leben.
Nennt-mich-Risley war im Juni
mit William Brereton, dem königlichen Kammerherrn, in Southwell: um den
Kardinal eine Petition unterschreiben zu lassen, die Henry herumreichen lässt
und die er dem Papst schicken will. Es war Norfolks Idee, die Peers und
Bischöfe dazu zu bringen, diesen Brief zu unterzeichnen, in dem Clemens gebeten
wird, dem König seine Freiheit zu gewähren. Er enthält gewisse düstere,
unbestimmte Drohungen, aber Clemens ist daran gewöhnt, bedroht zu werden -
keiner beherrscht die Kunst der Verzögerung besser als er, die Kunst, eine
Partei gegen die andere aufzuwiegeln und beide gegeneinander auszuspielen.
Der Kardinal sieht gut aus,
wie Wriothesley berichtet. Und seine Bautätigkeiten gehen anscheinend über
Reparaturen und einige Renovierungen hinaus. Er hat das Land nach Glasern,
Tischlern und Klempnern abgesucht; es ist noch unklar, wann Mylord beschließt,
die sanitären Anlagen zu verbessern. Er hat noch nie eine Pfarrkirche
errichten lassen, ohne dass der Turm höher gebaut werden musste als alle anderen,
nie irgendwo gewohnt, wo er nicht Pläne für das Abwassersystem entworfen hat.
Bald wird es Erdarbeiten geben, Abflusskanäle und Leitungen werden gelegt werden.
Als Nächstes wird er Springbrunnen installieren. Wo immer er auftaucht, wird
er vom Volk bejubelt.
»Das Volk?«, sagt Norfolk.
»Das Volk würde einem Berberaffen zujubeln. Wen schert es, wen oder was sie
bejubeln? Zum Henker mit dem Volk.«
»Aber wen wollen Sie dann
besteuern?«, sagt er, woraufhin Norfolk ihn ängstlich ansieht, unsicher, ob er
einen Witz gemacht hat.
Die Gerüchte über die
Popularität des Kardinals machen ihm keine Freude, sie machen ihm Angst. Der
König hat Wolsey begnadigt, aber wenn er einmal beleidigt war, kann er auch
wieder beleidigt sein. Wenn sie sich vierundvierzig Anklagepunkte ausdenken
konnten, dann können sie sich auch vierundvierzig weitere ausdenken - sofern
die Fantasie nicht durch die Wahrheit behindert wird.
Er beobachtet, wie Norfolk und
Gardiner die Köpfe zusammenstecken. Sie sehen zu ihm hinüber; sie funkeln ihn
an und sagen nichts.
Wriothesley bleibt bei ihm,
folgt seinem Schatten und seinen Schritten, schreibt seine vertraulichsten
Briefe, die an den Kardinal und den König. Niemals sagt er: Ich bin zu müde.
Niemals sagt er: Es ist spät. Er denkt an alles, woran er denken soll. Selbst
Rafe ist nicht vollkommener.
Es wird Zeit, die Mädchen in
das Familienunternehmen einzubinden. Johane bemängelt, dass ihre Tochter nicht
gut nähen kann, aber es sieht so aus, dass das Kind die Nadel heimlich in die
falsche Hand nimmt und auf diese Weise einen merkwürdigen kleinen Steppstich erfunden
hat, den man kaum nachmachen kann. Sie bekommt die Aufgabe, seine Sendungen in
den Norden zuzunähen.
September 1530: Der Kardinal
verlässt
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