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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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davon, macht einen
Luftsprung. Er, Cromwell, lehnt sich an die Wand; er beobachtet ihn. Er kann
ein Kind schluchzen hören, irgendwo außer Sichtweite; vielleicht ist es der
kleine Junge, der den Schlag ins Auge bekommen hat und der jetzt noch einmal
geschlagen wird, weil ihm die Schüssel aus der Hand gefallen ist, oder vielleicht
auch nur, weil er weint. Die Kindheit war genau so; du wirst bestraft, dann
wieder bestraft, weil du aufbegehrst. So lernt man, sich nicht zu beklagen; es
ist eine harte Lehre, aber du vergisst sie nie.
    Patch probiert verschiedene
Positionen und obszöne Gesten aus, als bereite er sich auf eine zukünftige
Vorstellung vor. »Ich weiß, in welchem Graben du gezeugt wurdest, Tom, und der
Graben war nicht weit von meinem eigenen entfernt.« Er dreht sich zur Halle um,
wo, unsichtbar hinter der trennenden Leinwand, der König - vermutlich - seinen
angenehmen Tag fortsetzt. Patch stellt sich breitbeinig hin, steckt die Zunge
heraus. »Der Narr hat in seinem Herzen gesagt: Es gibt keinen Papst.« Er
wendet den Kopf; er grinst. »Kommen Sie in zehn Jahren wieder, Master
Cromwell, und sagen Sie mir, wer dann der Narr ist.«
    »Sie verschwenden Ihre Witze
an mich, Patch. Nutzen Ihr Handwerkszeug ab.«
    »Narren können alles sagen.«
    »Nicht, wo mein Gesetz
herrscht.«
    »Und wo ist das? Nicht einmal
in dem Hinterhof, wo du in einer Pfütze getauft wurdest. Komm und triff mich
hier, heute in zehn Jahren, wenn du noch am Leben bist.«
    »Du würdest einen
Heidenschreck bekommen, wenn ich tot wäre.«
    »Ich stehe nämlich still und lasse
mich von dir umstoßen.«
    »Ich könnte deinen Schädel
jetzt an der Wand zerschmettern. Keiner würde dich vermissen.«
    »Das stimmt«, sagt Master
Sexton. »Sie würden mich am Morgen hinausrollen und auf einen Misthaufen legen.
Was ist schon ein einzelner Narr? England ist voll davon.«
     
    Er ist überrascht, dass noch etwas
Tageslicht da ist; er hatte gedacht, es wäre tiefste Nacht. In diesen Höfen
gibt es Wolsey noch; er hat sie erbaut. Du umrundest eine Ecke und glaubst,
Mylord mit einer Rolle Planungsskizzen in der Hand zu sehen, sein Entzücken
über die sechzig türkischen Teppiche, seine Hoffnung, die besten Spiegelmacher
Venedigs zu beherbergen und zu bewirten - »Jetzt, Thomas, fügen Sie Ihrem
Brief ein paar venezianische Freundlichkeiten hinzu, ein paar indirekte
Formulierungen, die im örtlichen Dialekt und auf die denkbar diskreteste Weise
ausdrücken, dass ich Höchstpreise zahle.«
    Und er wird noch hinzufügen,
dass das englische Volk Fremde freundlich aufnimmt und dass das englische
Klima milde ist. Dass goldene Vögel auf goldenen Zweigen singen und dass ein
goldener König auf einem Berg aus Geldstücken sitzt und ein Lied singt, das er
selbst verfasst hat.
    Als  er zu Hause in Austin
Friars eintrifft, betritt er ein Areal, das sich merkwürdig und leer anfühlt.
Es hat Stunden gedauert, von Hampton Court zurückzukommen, und es ist spät. Er
sieht auf die Stelle an der Mauer, wo das Wappen des Kardinals leuchtet: der
scharlachrote Hut, der auf seine Anweisung hin vor kurzem aufgefrischt wurde.
»Ihr könnt es jetzt übermalen«, sagt er.
    »Und was sollen wir
darübermalen, Sir?«
    »Lasst es leer.«
    »Könnten wir nicht eine
hübsche Allegorie haben?«
    »Aber sicher.« Er dreht sich
um und geht weg. »Eine leere Stelle.«
     
    Vier Toten beschweren sich über ihre Beerdigung
    Die Weihnachtstage 1530
     
    Das Klopfen am Tor kommt nach
Mitternacht. Sein Wachmann weckt den Haushalt, und als er nach unten geht,
trägt er einen wilden Gesichtsausdruck, aber ansonsten ist er vollständig
bekleidet. Unten findet er Johane im Nachtkleid und mit offenen Haaren vor; sie
fragt: »Was hat das zu bedeuten?« Richard, Rafe, die Männer des Haushalts
schieben sie ein wenig zur Seite; in der Halle von Austin Friars steht William
Brereton, Kammerherr des Königs, mit einem bewaffneten Begleiter. Sie sind
gekommen, um mich zu verhaften, denkt er. Er geht auf Brereton zu. »Schöne
Weihnachten, William? Sind Sie früh auf oder lange wach?«
    Aice und Jo erscheinen. Er
denkt an die Nacht, als Liz starb, als seine Töchter verloren und verwirrt in
ihren Nachthemden dastanden und darauf warteten, dass er nach Hause käme. Jo
beginnt zu weinen. Mercy erscheint und bringt die Mädchen schnell weg. Gregory
kommt nach unten, gekleidet zum Ausgehen. »Ich bin da, wenn du mich brauchst«,
sagt er schüchtern.
    »Der König ist in Greenwich«,
sagt Brereton.

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