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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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des
Kardinals liegen jetzt leer und zusammengefaltet da. Sie werden nicht
verschwendet. Man wird sie auftrennen und zu anderen Kleidungsstücken
verarbeiten. Wer weiß, wohin sie im Laufe der Jahre gelangen? Dein Auge wird
von einem purpurroten Kissen angezogen werden oder von dem roten Flicken auf
einer Flagge oder einem Banner. Du wirst sie für einen Augenblick im Ärmelfutter
eines Mannes oder im Aufblitzen des Unterrocks einer Hure wiedersehen.
    Ein anderer Mann würde nach
Leicester gehen, um zu sehen, wo er gestorben ist, und mit dem Abt zu sprechen.
Ein anderer Mann hätte Schwierigkeiten, es sich vorzustellen, er aber hat keine
Schwierigkeiten. Das Rot im Grund eines Teppichs, der leuchtende Fleck auf der
Brust des Rotkehlchens oder des Buchfinken, das Rot eines Wachssiegels oder das
Herz der Rose: eingepflanzt in seine Landschaft, versiegelt in seinem inneren
Auge und eingefangen im Glitzern eines Rubins, in der Farbe des Blutes lebt der
Kardinal und spricht. Sehen Sie in mein Gesicht: Ich habe vor keinem lebenden
Menschen Angst.
     
    In der großen Halle von
Hampton Court wird eine Posse aufgeführt; ihr Titel ist »Der Abstieg des
Kardinals in die Hölle«. Das versetzt ihn ins letzte Jahr zurück, nach Gray's
Inn. Unter Aufsicht der Beamten des königlichen Haushalts haben die Zimmerleute
gegen Extrazulagen wie wild gearbeitet und Gerüste errichtet, an denen
Leinwände hängen, die mit Folterszenen bemalt sind. Der hintere Teil der Halle
ist ausschließlich mit Flammen aus Stoff behängt.
    Die Unterhaltung besteht
darin: Schauspieler, die als Teufel verkleidet sind, schleifen eine riesige
scharlachrote Gestalt über den Boden, sie liegt auf dem Rücken und heult. Es
gibt vier Teufel, einen für jede Extremität des toten Mannes. Die Teufel
tragen Masken. Sie haben Dreizacke, mit denen sie den Kardinal stechen und
dazu bringen, zu zucken und sich zu krümmen und zu betteln. Er hatte gehofft,
der Kardinal wäre ohne Schmerzen gestorben, aber Cavendish hat nein gesagt. Er
starb bei Bewusstsein und sprach vom König. Er war aus dem Schlaf aufgeschreckt
und hatte gesagt: Wessen Schatten ist das da an der Wand?
    Der Herzog von Norfolk läuft
durch die Halle und gluckst: »Das ist doch wirklich gut, was? Es ist gut genug,
um gedruckt zu werden! Bei allen Heiligen, genau das mache ich! Ich werde es
drucken lassen, dann kann ich es mit nach Hause nehmen, und zu Weihnachten
können wir es noch einmal aufführen.«
    Anne sitzt da und lacht, zeigt
mit dem Finger, applaudiert. Er hat sie noch nie so gesehen: strahlend,
begeistert. Henry sitzt erstarrt an ihrer Seite. Manchmal lacht er, aber wenn
man näherkäme, würde man die Angst in seinen Augen sehen, denkt er. Der
Kardinal rollt über den Boden, setzt sich gegen die Dämonen in ihren schwarzen
Wollkostümen zur Wehr, aber diese setzen ihm zu und rufen: »Komm, Wolsey, wir
müssen dich in die Hölle bringen, denn unser Herr Beelzebub erwartet dich zum
Abendessen.«
    Als  der scharlachrote Berg
den Kopf in die Höhe schnellen lässt und fragt: »Was für einen Wein serviert
er?«, vergisst er sich beinahe und lacht. »Ich trinke keinen englischen Wein«,
erklärt der tote Mann. »Nichts von dieser Katzenpisse, die Mylord von Norfolk
anbietet.«
    Anne juchzt; sie zeigt; sie zeigt
auf ihren Onkel; der Lärm steigt hoch unter die Dachbalken, zusammen mit dem
Rauch von der Feuerstelle, dem Lachen und den Sprechchören von den Tischen, dem
Heulen des fetten Prälaten. Nein, wird diesem versichert, der Teufel ist
Franzose, und es gibt Pfiffe und Buhrufe, Lieder werden angestimmt. Jetzt
fangen die Teufel den Kopf des Kardinals in einer Schlinge. Sie ziehen ihn auf
die Füße, aber er wehrt sich. Die fuchtelnden Schläge sind nicht alle unecht,
und er hört ihr Ächzen, als es ihnen den Atem verschlägt. Aber es gibt vier
Henker und nur einen großen scharlachroten Sack, und der ist ein Nichts, das
würgt und kratzt; der Hof ruft: »Lasst ihn runter! Lasst ihn lebend runter!«
    Die Schauspieler werfen ihre
Hände in die Höhe, sie tänzeln zurück und lassen ihn fallen. Als er keuchend
auf den Boden plumpst, stechen sie mit ihren Dreizacken auf ihn ein und ziehen
lange scharlachrote Wolldärme aus ihm heraus.
    Der Kardinal gibt
Gotteslästerungen von sich. Er gibt Furze von sich, und in den Ecken der Halle knallen
Feuerwerkskörper. Aus dem Augenwinkel sieht er eine Frau wegrennen, sie hat die
Hand auf den Mund gelegt; aber Onkel Norfolk marschiert herum und streckt

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