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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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zittern ein wenig, als er ihm das heilige Buch reicht.
    Thomas Boleyn ist bei uns, Earl
von Wiltshire, Lordsiegelbewahrer. Der Lordkanzler ist da; er denkt irritiert,
warum rasiert More sich nie ordentlich? Kann er die Zeit nicht erübrigen, sein
Programm mit der Peitsche nicht abkürzen? Als  More ins Licht tritt, sieht er,
dass er sogar noch ungepflegter ist als üblich, denn sein Gesicht ist hager
und er hat pflaumenfarbene Flecken unter den Augen. »Was ist denn passiert?«
    »Sie haben es nicht gehört.
Mein Vater ist gestorben.«
    »Der gute alte Mann«, sagt er.
»Wir werden seinen weisen Rat in der Jurisprudenz vermissen.«
    Und seine langweiligen
Geschichten. Wohl kaum.
    »Er starb in meinen Armen.«
More beginnt zu weinen oder vielmehr scheint er zu schwinden, und sein ganzer
Körper scheint Tränen abzusondern. Er sagt: Er war das Licht meines Lebens,
mein Vater. Wir sind keine so großen Männer, wir sind ein Schatten dessen, was
sie waren. Bitten Sie Ihre Leute in Austin Friars, für ihn zu beten. »Es ist
merkwürdig, Thomas, aber seit er gegangen ist, spüre ich mein Alter. Als wäre
ich bis vor wenigen Tagen lediglich ein Junge gewesen. Aber Gott hat mit den
Fingern geschnipst, und ich stelle fest, dass meine besten Jahre hinter mir
liegen.«
    »Wissen Sie, nachdem Elizabeth
starb, meine Frau ...« Und dann, will er sagen, meine Töchter, meine Schwester,
mein dezimierter Haushalt, meine Leute immer in Schwarz, und nun habe ich
meinen Kardinal verloren ... Aber er wird nicht zugeben, nicht einmal für
einen Moment, dass die Trauer seinen Willen untergraben hat. Man kann keinen
anderen Vater bekommen, aber das würde er auch kaum wollen; und was Ehefrauen
betrifft, so sind sie wohlfeil bei Thomas More. »Sie werden es jetzt nicht
glauben, aber das Gefühl kehrt zurück. Das Gefühl für die Welt und alles, was
man in ihr tun muss.«
    »Sie haben auch Verluste erlitten,
ich weiß. Nun, nun.« Der Lordkanzler schnieft, er seufzt, schüttelt den Kopf.
»Lassen Sie uns das Notwendige erledigen.«
    Es ist More, der beginnt, ihm
den Eid vorzulesen. Er schwört, dass er treuen Rat geben wird, dass seine Rede
klar und unvoreingenommen sein wird, sein Verhalten verschwiegen, seine Treue
wahrhaftig. Er ist bis zu dem weisen Rat und zur Verschwiegenheit gekommen, als
die Tür auffliegt und Gardiner hinabstößt wie eine Krähe, die ein totes Schaf
entdeckt hat. »Ich denke nicht, dass Sie das ohne den Ersten Sekretär tun
können«, sagt er, und Warham sagt milde: Beim heiligen Kreuz, müssen wir mit
seiner Vereidigung noch mal von vorn anfangen?
    Thomas Boleyn streicht sich
über den Bart. Sein Blick ist auf den Ring des Kardinals gefallen, und sein
Gesichtsausdruck ist von schockiert zu lediglich höhnisch übergegangen.
»Sollten wir die Prozedur nicht kennen«, sagt er, »bin ich sicher, dass Thomas
Cromwell sich eine Notiz gemacht hat. Geben Sie ihm ein oder zwei Jahre, und
wir stellen möglicherweise fest, dass wir alle überflüssig geworden sind.«
    »Ich bin sicher, dass ich
nicht lange genug leben werde, um das zu erleben«, sagt Warham. »Lordkanzler,
sollen wir weitermachen? Ach, Sie armer Mann! Sie weinen schon wieder. Sie tun
mir wirklich sehr leid. Aber der Tod kommt zu uns allen.«
    Guter Gott, denkt er, wenn der
Erzbischof von Canterbury nicht mehr als das zu bieten hat, könnte sogar ich
den Job machen.
    Er schwört, dass er die
Autorität des Königs wahren wird, seinen Vorrang, seine Rechtsprechung. Er
schwört, dass er seine Erben und rechtmäßigen Nachkommen achten wird, und er
denkt an den Bastard, das Kind Richmond, und an Mary, den sprechenden Zwerg,
und an den Herzog von Norfolk, wie er allen Anwesenden seinen Daumennagel
zeigt. »Nun, das wäre erledigt«, sagt der Erzbischof. »Und Amen dazu, denn
welche Wahl haben wir schon? Sollen wir uns ein Glas Wein wärmen lassen? Diese
Kälte kriecht einem in die Knochen.«
    Thomas More sagt: »Jetzt, da
Sie ein Mitglied des Rates sind, hoffe ich, dass Sie dem König sagen werden,
was er tun sollte, und nicht nur, was er tun kann. Würde der Löwe seine eigene
Stärke kennen, wäre es schwer, ihn zu beherrschen.«
    Draußen fällt Eisregen. Dunkle
Flocken fallen in das Wasser der Themse. England streckt sich vor ihm aus, eine
niedrig stehende rote Sonne auf Feldern von Schnee.
    Er denkt an den Tag zurück, an
dem York Place zerstört wurde. Er und George Cavendish standen dabei, als die
Truhen geöffnet und die Messgewänder des Kardinals

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