Mantel, Hilary
Hand genommen
haben - als Sie den Arm des Königs in Ihrem Griff hatten, bin ich selbst
zusammengezuckt. Und Henry, er hat es gespürt.« Er nickt. »Sie sind eine Person
von großer Willenskraft.«
Geistliche können das tun:
über den Charakter sprechen. Urteile abgeben: Dieses hier scheint günstig zu
sein, obwohl der Doktor genau wie ein Wahrsager nicht mehr gesagt hat, als er
bereits wusste. »Kommen Sie«, sagt Cranmer, »Ihre Jungen werden sich Sorgen um
Ihre Sicherheit machen.«
Rafe, Gregory, Richard scharen
sich um ihn: Was ist passiert? »Der König hatte einen Traum.«
»Einen Traum?« Rafe ist
schockiert. »Er hat uns wegen eines Traums aus dem Bett geholt?«
»Glauben Sie mir«, sagt
Brereton, »er holt einen auch für weniger als das aus dem Bett.«
»Dr Cranmer und ich sind uns
einig, dass die Träume eines Königs nicht dasselbe wie die Träume anderer
Menschen sind.«
Gregory fragt: »War es ein
schlimmer Traum?«
»Am Anfang. Er dachte es.
Jetzt nicht mehr.«
Sie sehen ihn verständnislos
an, aber Gregory versteht. »Als ich klein war, träumte ich von Dämonen. Ich
glaubte, sie wären unter meinem Bett, aber du hast gesagt, das kann nicht sein,
es gibt keine Dämonen auf unserer Seite des Flusses, die Wachen lassen sie
nicht über die London Bridge.«
»Als o bist du völlig
verängstigt«, sagt Richard, »wenn du über den Fluss nach Southwark gehst?«
Gregory sagt: »Southwark? Was
ist Southwark?«
»Wisst ihr«, sagt Rafe im Ton
eines Schulmeisters, »es gibt Gelegenheiten, da sehe ich einen Funken von
etwas wie Witz in Gregory. Kein helles Leuchten, das nicht. Nur einen Funken.«
»Dass ausgerechnet du
spottest! Mit so einem Bart.«
»Ist das ein Bart?«, sagt
Richard. »Diese dürftigen roten Borsten? Ich dachte, es wäre eine
Nachlässigkeit des Barbiers.«
Sie umarmen einander, so
heftig ist ihre Erleichterung. Gregory sagt: »Und wir haben geglaubt, der König
hätte ihn in ein Verlies bringen lassen.«
Cranmer nickt wohlwollend,
amüsiert. »Ihre Kinder lieben Sie.«
Richard sagt: »Wir kommen
nicht ohne den Mann am Ruder aus.«
Es wird noch Stunden bis zur
Morgendämmerung dauern. Es ist wie der lichtlose Morgen, an dem der Kardinal
starb. Der Geruch nach Schnee liegt in der Luft.
»Ich vermute, er wird uns noch
einmal sprechen wollen«, sagt Cranmer. »Wenn er darüber nachgedacht hat, was
Sie zu ihm gesagt haben, und wenn er - ich möchte das so ausdrücken - seinen
Gedanken dahin gefolgt ist, wohin sie ihn führen.«
»Trotzdem gehe ich in die City
zurück und zeige mich dort.« Ich wechsle die Kleider, denkt er, und warte auf
das, was kommt. Zu Brereton sagt er: »Sie wissen, wo Sie mich finden.
William.«
Ein Nicken und er geht fort. »Dr
Cranmer, sagen Sie der Lady, dass wir ein gutes Nachtwerk für sie verrichtet
haben.« Er legt den Arm um die Schultern seines Sohnes und flüstert: »Gregory,
diese Geschichten von Merlin, die du gelesen hast - wir werden noch ein paar
davon schreiben.«
Gregory sagt: »Oh, aber ich
habe sie gar nicht zu Ende gelesen. Die Sonne kam doch heraus.«
Noch am selben Tag kehrt er
zurück und betritt ein getäfeltes Gemach in Greenwich. Es ist der letzte Tag
des Jahres 1530. Er streift seine Handschuhe ab, Glaceleder parfümiert mit
Ambra. Mit den Fingern seiner rechten Hand berührt er den Türkisring, rückt ihn
zurecht.
»Der Rat wartet«, sagt der
König. Er lacht - wie über einen persönlichen Triumph. »Gehen Sie zu ihnen
hinein. Sie werden Ihnen den Eid abnehmen.«
Dr Cranmer ist beim König; er
ist sehr blass, sehr stumm. Der Doktor nickt zu seiner Begrüßung, und dann
breitet sich überraschend ein Lächeln auf seinem Gesicht aus, das den ganzen
Nachmittag aufhellt.
Ein Anschein der Improvisation
liegt über der nächsten Stunde. Der König möchte nicht warten, und die Frage
ist, welche Ratsmitglieder kurzfristig zusammengerufen werden können. Die
Herzöge sind in ihren eigenen Landen und halten weihnachtlichen Hof. Der alte
Warham ist bei uns, Erzbischof von Canterbury. Es ist fünfzehn Jahre her, seit
Wolsey ihn von seinem Posten als Lordkanzler entlassen hat oder, wie der
Kardinal sich immer ausdrückte, von seinem weltlichen Amt befreit und ihm so
die Gelegenheit geschenkt hat, sich während seiner letzten Jahre einem Leben des
Gebets zu widmen. »Nun, Cromwell«, sagt er. »Sie ein Mitglied des Kronrats! Was
nur aus der Welt geworden ist!« Sein Gesicht ist faltig, er hat tote
Fischaugen. Die Hände
Weitere Kostenlose Bücher