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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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mit seinem Latein am
Ende. Er stotterte und zog sich zurück wie ein sprachloser kleiner Junge.« Der
Kardinal lacht in sich hinein. »Und dann, als sie das erste Mal bei Hofe tanzte
— unser armer Prinz Arthur saß lächelnd auf dem Podium, aber das kleine Mädchen
konnte kaum still auf dem Stuhl sitzen -, keiner kannte die spanischen Tänze,
also begab sie sich mit einer ihrer Damen aufs Parkett. Ich werde diese
Kopfbewegung niemals vergessen, diesen Moment, in dem ihr schönes rotes Haar
über die Schulter schwang ... Kein Mann, der das gesehen hat und der sich nicht
vorstellte - obwohl der Tanz in Wirklichkeit sehr gemessen war ... Ach ja. Sie
war sechzehn.«
    Der Kardinal blickt ins Leere,
und Thomas sagt: »Gott vergebe Ihnen?«
    »Gott vergebe uns allen. Der
alte König hat seine Lust ständig zur Beichte getragen. Prinz Arthur starb,
bald darauf starb die Königin, und als der alte König Witwer geworden war,
überlegte er, Katherine vielleicht selbst zu heiraten. Aber dann ...« Er hebt
seine herrschaftlichen Schultern. »Sie konnten sich nicht über die Mitgift
einigen, wissen Sie. Der alte Fuchs, Ferdinand, ihr Vater. Er entwand sich
jeder fälligen Zahlung. Aber unsere gegenwärtige Majestät war ein Junge von
zehn Jahren, als er auf der Hochzeit seines Bruders tanzte, und ich glaube
fest daran, dass er augenblicklich sein Herz an die Braut verloren hat.«
    Sie sitzen da und denken eine
Weile nach. Es ist traurig, beide wissen, dass es traurig ist. Der alte König
isolierte sie und hielt sie unter geradezu ärmlichen Bedingungen im Königreich
fest, er war nicht bereit, auf den Teil der Mitgift zu verzichten, der noch
ausstand, und ebenso wenig war er bereit, ihren Witwenanteil auszuzahlen und
sie gehen zu lassen. Bemerkenswert ist hierbei allerdings auch, welche
weitreichenden diplomatischen Kontakte die junge Frau während dieser Jahre
knüpfte und mit welchem Geschick sie die Interessen gegeneinander ausspielte. Als 
Henry sie heiratete, war er achtzehn, unbedarft. Kaum war sein Vater tot,
beanspruchte er Katherine für sich. Sie war älter als er, die leidvollen Jahre
hatten sie ernüchtert, und ihre Schönheit war auch nicht mehr dieselbe. Aber
die reale Frau war nicht so lebendig wie seine Vision von ihr; er begehrte das,
was sein älterer Bruder besessen hatte. Wieder spürte er ihre leicht zitternde
Hand, die sie ihm auf den Arm gelegt hatte, als er ein zehnjähriger Junge war.
Es war, als würde sie sich ihm anvertrauen, als hätte sie erkannt — so erzählte
er es seinem engsten Kreis -, dass sie nie dazu bestimmt gewesen sei, Arthurs
Frau zu sein, außer dem Namen nach; ihr Körper war für ihn reserviert, den
zweiten Sohn, auf den sie ihre schönen blaugrauen Augen richtete, ihr gefügiges
Lächeln. Sie hat mich immer geliebt, sagte der König. Fast sieben Jahre der
Diplomatie, wenn man es denn so nennen kann, haben sie von mir ferngehalten.
Aber jetzt brauche ich niemanden zu fürchten. Rom hat Dispens erteilt. Die
Papiere sind in Ordnung. Die Allianz besteht bereits. Ich habe eine Jungfrau
geheiratet, denn mein armer Bruder hat sie nicht angerührt; ich habe eine
Allianz geheiratet, ihre spanischen Verwandten; aber vor allem habe ich aus
Liebe geheiratet.
    Und jetzt? Vorbei. Oder so gut
wie vorbei: ein halbes Leben, das darauf wartet, gelöscht, von der Liste
gestrichen zu werden.
    Es gibt noch eine Geschichte
über Katherine, eine ganz andere Geschichte. Henry ging nach Frankreich, um
einen kleinen Krieg zu führen; er ließ Katherine als Regentin zurück. Sofort
fielen die Schotten in England ein; sie wurden geradezu vernichtet und in
Flodden schlugen sie ihrem König den Kopf ab. Niemand anderes als Katherine,
dieser Engel in Rosa und Weiß, schlug vor, den Kopf in einem Sack mit der
nächsten Passage nach Frankreich zu schicken, um ihren Mann in seinem
Feldlager aufzumuntern. Man brachte sie davon ab; sagte ihr, es sei unenglisch.
Sie schickte stattdessen einen Brief. Und mit ihm den Waffenrock, in dem der
schottische König gestorben war. Er war steif, schwarz und verkrustet vom Blut.
    Das Feuer geht aus, ein
Holzscheit zerfällt langsam zu Asche; in seine Träume vertieft, erhebt sich
der Kardinal vom Stuhl und gibt dem Scheit persönlich einen Fußtritt. Er steht
da und sieht nach unten, dreht gedankenverloren die Ringe an seinen Fingern. Er
schüttelt sich und sagt: »Es war ein langer Tag. Gehen Sie nach Hause. Träumen
Sie nicht von den Männern aus Yorkshire.«
    Thomas Cromwell

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