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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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Der
Kardinal wird es mir erzählen. Der Kardinal sagt: Das ist ja alles schön und
gut, diese Taktik, den König hinzuhalten und sich von ihm beschenken zu lassen,
aber noch diesen Sommer wird er sie ins Bett bekommen, ganz bestimmt, und im
Herbst ist er ihrer dann überdrüssig und rangiert sie aus; wenn er es nicht
tut, mache ich es. Sollte Wolsey eine fruchtbare französische Prinzessin
importieren, möchte er nicht, dass ein paar unschöne Szenen mit abgelegten
Konkubinen ihr die ersten Wochen in England verderben. Der König, meint
Wolsey, müsste schonungsloser mit seinen Frauen umgehen.
    Liz wartet einen Moment, bis
ihr klar ist, dass sie nichts von ihm hören wird. »Was Gregory betrifft«, sagt
sie. »Kommenden Sommer. Hier oder woanders?«
    Gregory wird bald dreizehn und
ist in Cambridge mit seinem Tutor. Er hat seine Neffen, die Söhne seiner
Schwester Bet, mit ihm zur Schule geschickt; er tut es gerne für die Familie.
Der Sommer ist zur Erholung da, was sollen sie da in der Stadt? Bislang zeigt
Gregory wenig Interesse an seinen Büchern, obwohl er Geschichten mag,
Geschichten von Drachen, Geschichten von grünen Leuten, die in Wäldern leben;
auch wenn er Protestschreie ausstößt, kann man ihn durch einen Absatz Latein
schleppen, aber nur, wenn man ihn davon überzeugt, dass auf der nächsten Seite
eine Seeschlange oder ein Geist auftaucht. Er mag es, durch den Wald und über
die Felder zu streifen, und er jagt gerne. Er muss noch ein ganzes Stück
wachsen, und wir wollen hoffen, dass er groß wird. Des Königs Großvater
mütterlicherseits war über einen Meter neunzig groß, wie alle alten Männer
bezeugen können. (Sein Vater jedoch hatte eher die Größe von Morgan Williams.)
Der König misst einen Meter siebenundachtzig, und der Kardinal kann ihm in die
Augen sehen. Henry hat gern Männer wie seinen Schwager Charles Brandon um sich,
der von ähnlich eindrucksvoller Größe ist und ähnlich dick aufgepolsterte
Schultern hat. In den Seitengassen ist Größe nicht so verbreitet und offenbar
auch nicht in Yorkshire.
    Er lächelt. Er sagt immer über
Gregory: Wenigstens ist er nicht wie ich, als ich in dem Alter war, und wenn er
gefragt wird: Wie waren Sie denn?, antwortet er: Ach, ich habe ständig mit dem
Messer auf Leute eingestochen. Gregory würde das nie tun, deshalb macht es ihm
nichts aus — oder es macht ihm weniger aus, als andere denken -, wenn sein Sohn
Deklinationen und Konjugationen nicht richtig in den Griff bekommt. Wenn man
ihm erzählt, was Gregory zu tun versäumt hat, sagt er: »Er ist mit Wachsen
beschäftigt.« Er kann sein Schlafbedürfnis nachvollziehen; er selbst hat nie
viel Schlaf bekommen, solange Walter in der Gegend herumtrampelte, und nachdem
er weggelaufen war, war er immer auf einem Schiff oder auf der Straße, und
irgendwann fand er sich in einer Armee wieder. Was die Leute in Bezug auf die
Armee nicht verstehen, ist die enorme Leere, die durch fortwährende
Untätigkeit entsteht: Man muss plündern, um an Nahrung zu kommen, man lagert
irgendwo, wo der Wasserpegel steigt, weil der verrückte capitaine es so will, mitten in der
Nacht soll man unvermutet in eine nicht zu haltende Stellung wechseln, sodass
man niemals richtig schläft, die Ausrüstung ist mangelhaft, die Kanoniere
verursachen aus Versehen immer wieder kleine Explosionen, die Armbrustschützen
sind entweder betrunken oder sie beten, die Pfeile sind angefordert, aber noch
nicht da, und der Verstand wird von der schwelenden Angst in Atem gehalten,
dass es schlecht ausgehen wird, weil il principe— oder welche kleine Ihro Achtbarkeit auch immer heute
das Kommando hat - die grundlegende Tätigkeit des Denkens nicht sonderlich gut
beherrscht. Er brauchte nicht viele Winter, um von der kämpfenden Truppe zum
Nachschub zu wechseln. In Italien konnte man immer im Sommer kämpfen, wenn man
Lust hatte. Wenn man mal rauswollte.
    »Schläfst du?«, sagt Liz.
    »Nein. Aber ich träume.«
    »Die kastilische Seife ist
angekommen. Und dein Buch aus Deutschland. Es war als etwas anderes
deklariert. Ich hätte den Jungen mit dem Paket beinahe weggeschickt.«
    In Yorkshire, das nach
ungewaschenen Männern roch, die Schafsfelle trugen und vor Wut schwitzten,
hatte er von der kastilischen Seife geträumt.
     
    Später sagt sie: »Als o, wer
ist die Dame?«
    Seine Hand liegt auf ihrer
vertrauten, aber schönen linken Brust; verwirrt zieht er sie weg. »Was?«
Glaubt sie, er hat sich in Yorkshire mit einer Frau eingelassen? Er

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