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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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ein Fehler zu glauben«, sagt er,
während er ihnen vom Fenster aus zusieht, »dass diese Herren bei der
Interpretation der Schrift in irgendeinem Punkt übereinstimmen würden.
Verschone sie eine Weile mit Thomas More, und sie werden dazu übergehen, sich
gegenseitig zu verfolgen.«
    Gregory sitzt auf einem Kissen
und spielt mit dem Hund. Er streicht mit einer Feder über ihre Nase, und sie
niest zu seiner Belustigung. »Sir«, sagt er, »warum heißen deine Hunde immer
Bella und sind immer so klein?«
    Hinter ihm sitzt an einem
Eichentisch Nikolaus Kratzer, der Astronom des Königs, vor sich sein
Astrolabium, sein Papier und seine Tinte. Er legt die Feder nieder und sieht
auf. »Master Cromwell«, sagt er leichthin, »entweder sind meine Berechnungen
falsch oder das Universum ist nicht so, wie wir denken.«
    Er sagt: »Warum sind Kometen
schlechte Zeichen? Warum keine guten? Warum kündigen sie den Fall von Nationen
an? Warum nicht ihren Aufstieg?«
    Kratzer ist aus München, ein
dunkler, etwa gleichaltriger Mann mit einem breiten humorvollen Mund. Er kommt
wegen der Gesellschaft her, wegen der guten und gelehrten Gespräche, einige
davon in seiner eigenen Sprache. Der Kardinal war sein Kunde gewesen, und er
hatte ihm eine schöne goldene Sonnenuhr gemacht. Als er sie sah, war der große
Mann vor Freude errötet. »Neun Zifferblätter, Nikolaus! Sieben mehr als der
Herzog von Norfolk hat.«
    Im Jahre 1456 gab es einen
Kometen wie diesen. Gelehrte dokumentierten ihn, Papst Kalixt exkommunizierte
ihn, und es kann sein, dass noch ein oder zwei alte Männer am Leben sind, die
ihn gesehen haben. Sein Schweif wurde als säbelförmig beschrieben, und in jenem
Jahr belagerten die Türken Belgrad. Es kann nicht schaden, von den Vorzeichen
Notiz zu nehmen, die der Himmel zu bieten hat, und der König will immer den
besten Rat. Der Konjunktion der Planeten im Sternbild der Fische im Herbst
1524 folgten große Kriege in Deutschland, der Aufstieg von Luthers Sekte,
Aufstände der gemeinen Männer und der Tod von 100 000 Untertanen des Kaisers.
Und auch: drei Jahre Regen. Die Plünderung Roms wurde volle zehn Jahre vor dem
Ereignis durch Schlachtenlärm in der Luft und unter der Erde vorhergesagt: der
Zusammenstoß unsichtbarer Armeen, das Scheppern von Stahl auf Stahl und die gespenstischen
Schreie sterbender Männer. Er selbst war damals nicht in Rom und hatte es nicht
gehört, aber er hat viele Männer getroffen, die sagen, dass sie einen Freund
haben, der einen Mann kennt, der dort war.
    Er sagt: »Nun, wenn Sie sich
für die Bestimmung der Winkel verbürgen können, kann ich Ihre Berechnungen
überprüfen.«
    Gregory sagt: »Dr Kratzer,
wohin geht der Komet, wenn wir ihn nicht sehen?«
    Die Sonne ist gesunken; der
Gesang der Vögel ist gedämpft; der Duft der Kräuterbeete kommt durch das offene
Fenster. Immer noch sieht Kratzer, ein durchs Gebet oder durch Gregorys Frage
erstarrter Mann, auf seine Papiere hinunter, die langen knochigen Finger
ineinandergelegt. Unten im Garten sieht Dr Latimer auf und winkt.
    »Hugh hat Hunger. Gregory, hol
unsere Gäste ins Haus.«
    »Ich werde vorher noch die
Zahlen durchgehen.« Kratzer schüttelt den Kopf. »Luther sagt, Gott steht über
der Mathematik.«
    Für Kratzer werden Kerzen
gebracht. Das Holz des Tisches ist schwarz in der Dämmerung, und das Licht
lässt sich in zitternden Sphären darauf nieder. Die Lippen des Gelehrten
bewegen sich wie die Lippen eines Mönchs bei der Vesper; flüssige Zahlen
ergießen sich aus seiner Feder. Er, Cromwell, dreht sich in der Tür um und
sieht sie. Sie flattern vom Tisch, streifen die Ecken des Raumes und
zerschmelzen dort.
     
    Thurston kommt aus dem
Küchentrakt heraufgestampft. »Ich frage mich manchmal, was nach Meinung dieser
Leute hier vor sich geht! Geben Sie ein paar Abendessen, oder wir sind
ruiniert. AI diese Herren und auch Damen, die auf die Jagd gehen, haben uns
genug Fleisch geschickt, um eine Armee zu verköstigen.«
    »Schicken Sie es den
Nachbarn.«
    »Suffolk schickt uns jeden Tag
einen Rehbock.«
    »Monsieur Chapuys ist unser
Nachbar, er bekommt nicht viele Geschenke.«
    »Und Norfolk...«
    »Geben Sie es am Hintertor
weg. Fragen Sie in der Gemeinde, wer Hunger leidet.«
    »Aber es geht um das Zerlegen!
Das Häuten, das Vierteln!«
    »Ich komme und helfe Ihnen
dabei, soll ich?«
    »Das können Sie nicht machen!«
Thurston wringt seine Schürze.
    »Es wird mir ein Vergnügen
sein.« Er zieht sich den Ring des Kardinals vom

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