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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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dreht sich
auf den Rücken und überlegt, wie er sie davon überzeugen kann, dass es nicht
stimmt; wenn nötig, muss er sie mit dorthin nehmen, dann wird sie schon sehen.
    »Die Smaragddame?«, sagt sie.
»Ich frage nur, weil die Leute darüber reden, dass der König etwas sehr
Seltsames tun will, und ich kann es gar nicht glauben. Aber so heißt es überall
in der Stadt.«
    Wirklich? Die Gerüchte haben
sich tüchtig verbreitet in den zwei Wochen, die er im Norden bei den wilden
Kerlen verbracht hat.
    »Wenn er das versucht«, sagt
sie, »hat er die Hälfte der Menschen auf der Welt gegen sich.«
    Er und Wolsey hatten gedacht,
dass der Kaiser und Spanien dagegen sein würden. Nur der Kaiser. Er lächelt im
Dunkeln, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Er fragt nicht: Welche
Menschen?, sondern wartet darauf, dass Liz es ihm sagt. »Alle Frauen«, sagt
sie. »Alle Frauen überall in England. Alle Frauen, die eine Tochter haben, aber
keinen Sohn. Alle Frauen, die ein Kind verloren haben. Alle Frauen, die jede
Hoffnung darauf verloren haben, ein Kind zu bekommen. Alle Frauen, die vierzig
sind.«
    Sie legt ihren Kopf auf seine
Schulter. Zu müde zum Reden liegen sie Seite an Seite in Laken aus feinem
Leinen und unter einer Steppdecke aus gelbem, türkischem Satin. Ihre Körper
verströmen den zarten geliehenen Duft von Sonne und Kräutern. Auf Kastilisch,
erinnert er sich, kann er Leute beleidigen.
    »Schläfst du jetzt?«
    »Nein. Ich denke.«
    »Thomas«, sagt sie und klingt
schockiert dabei, »es ist drei Uhr.«
    Und dann ist es sechs. Er
träumt, dass alle Frauen Englands in seinem Bett versammelt sind, dass sie ihn
anrempeln und rausschubsen. Als o steht er auf, um sein deutsches Buch zu
lesen, bevor Liz irgendetwas dagegen unternehmen kann.
    Sie tut nicht wirklich etwas
dagegen; bloß, wenn sie dazu gebracht wird, sagt sie: »Mein Gebetbuch reicht
mir als Lektüre.« Und sie liest tatsächlich in ihrem Gebetbuch, nimmt es mitten
am Tag geistesabwesend zur Hand - ohne dabei jedoch ganz zu unterbrechen, was
sie gerade tut - und streut Anweisungen für den Haushalt in ihre gemurmelte
Litanei ein; es ist ein Stundenbuch, ein Hochzeitsgeschenk von ihrem ersten
Mann, und der hat ihren neuen Familiennamen hineingeschrieben: Elizabeth
Williams. Manchmal, wenn er eifersüchtig ist, würde er gerne andere Dinge
hineinschreiben, etwas völlig Gegensätzliches. Er kannte Liz' ersten Mann,
aber das heißt nicht, dass er ihn mochte. Er hat gesagt: Liz, Tyndales Buch,
sein Neues Testament, liegt in der verschlossenen Truhe da, lies es, hier ist
der Schlüssel; sie sagt: Lies es mir vor, wenn du so begeistert davon bist, und
er sagt: Es ist auf Englisch, lies es selbst, genau darum geht es. Lies es, du
wirst überrascht sein, was nicht darin steht.
    Er hatte geglaubt, diese
Andeutung würde sie in Versuchung führen: anscheinend nicht. Er kann sich nicht
vorstellen, seinem Haushalt etwas vorzulesen; anders als Thomas More ist er
kein verhinderter Priester, kein frustrierter Prediger. Nie trifft er More -
einen Stern an einem anderen Firmament, der ihn mit einem verbissenen Nicken
zur Kenntnis nimmt -, ohne ihn fragen zu wollen: Was ist los mit dir? Oder was
ist los mit mir? Warum bestätigt dich alles, was du weißt und was du gelernt
hast, in dem, was du vorher glaubtest? Wohingegen in meinem Fall alles, womit
ich aufgewachsen bin und was ich zu glauben meinte, immer weiter abbröckelt,
ein Splitter erst, dann ein Stück und noch ein weiteres Stück. Mit jedem Monat,
der vergeht, werden den Gewissheiten dieser Welt die Ecken abgeschlagen - und
auch denen der nächsten Welt. Zeig mir, wo es in der Bibel »Fegefeuer« heißt.
Zeig mir, wo es heißt: Reliquien, Mönche, Nonnen. Zeig mir, wo es heißt:
»Papst«.
    Er wendet sich wieder seinem
deutschen Buch zu. Der König hat mit Thomas Mores Hilfe ein Buch gegen Luther
geschrieben, für das der Papst ihm den Titel »Verteidiger des Glaubens« verliehen
hat. Nun ist es nicht so, als würde er selbst Bruder Martin lieben; er und der
Kardinal sind sich einig, dass es besser wäre, Luther wäre nie geboren worden,
oder noch besser, er wäre etwas feinsinniger geboren worden. Und doch
informiert er sich darüber, was geschrieben wird, was durch die Kanalhäfen und
die kleinen Meeresarme von East Anglia geschmuggelt wird, durch die Priele, wo
bei Mondlicht ein kleines Boot mit fragwürdiger Fracht auf den Strand gezogen
und wieder hinaus ins Meer geschoben werden kann. Er informiert

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