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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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auch den
Kardinal, sodass dieser, wenn More und seine klerikalen Freunde hereinstürmen
und Höllenfeuer wegen der neuesten Ketzerei speien, abwinken und sagen kann:
    »Meine Herren, ich bin bereits
auf dem Laufenden.« Wolsey ist bereit, Bücher zu verbrennen, aber keine
Menschen. Er hat es erst letzten Oktober in St Paul's Cross getan: ein
Holocaust der englischen Sprache, so viel Papier wurde verbrannt, so viel
schwarze Druckertinte.
    Das Neue Testament, das er in
der Truhe aufbewahrt, ist ein Raubdruck aus Antwerpen, der leichter
aufzutreiben ist als die eigentliche deutsche Ausgabe. Er kennt William
Tyndale: Bevor London zu heiß für ihn wurde, wohnte er sechs Monate lang bei
dem Großkaufmann Humphrey Monmouth in der City of London. Tyndale ist ein Mann von
Prinzipien, ein harter Mann, und Thomas More nennt ihn »Das Biest«; er sieht
aus, als hätte er in seinem Leben noch nie gelacht, aber was gibt es auch zu
lachen, wenn man aus seiner Heimat vertrieben wird? Sein Neues Testament hat Oktavformat,
das Papier ist scheußlich und billig: auf der Titelseite, wo Kolophon und Adresse
des Druckers stehen sollten, die Worte »Gedruckt in Utopia«. Er hofft, Thomas
More hat ein Exemplar davon gesehen. Am liebsten würde er es ihm zeigen, nur um
sein Gesicht zu sehen.
    Er klappt das neue Buch zu.
Zeit, den Tag in Angriff zu nehmen. Er weiß, dass er keine Zeit hat, den Text
selbst ins Lateinische zu übersetzen, damit er diskret verbreitet werden kann;
er sollte jemanden darum bitten, es zu tun, aus Liebe oder für Geld.
Erstaunlich, diese Liebe zurzeit zwischen jenen, die Deutsch lesen können.
    Um sieben hat er gefrühstückt,
ist rasiert und schön eingehüllt in frische, nicht geliehene Wäsche und feine
dunkle Wolle. Manchmal vermisst er Liz' Vater um diese Zeit, den guten alten
Mann, der immer früh genug aufstand, um ihm die Hand auf den Kopf zu legen und
zu sagen: Hab einen schönen Tag, Thomas, um meinetwillen.
    Er mochte den alten Wykys, der
das erste Mal in einer rechtlichen Angelegenheit zu ihm kam. Damals war er -
was, sechsundzwanzig, siebenundzwanzig? -, noch nicht lange zurück aus dem
Ausland, und es passierte immer wieder, dass er einen Satz in der einen Sprache
begann und ihn in einer anderen zu Ende brachte. Wykys war gewieft und hatte
ein hübsches Vermögen im Wollhandel gemacht. Ursprünglich stammte er aus
Putney, aber deshalb hatte er ihn nicht aufgesucht; er war ihm empfohlen worden
und er war billig. Bei ihrer ersten Besprechung breitete Wykys die Papiere aus
und sagte: »Sie sind Walters Junge, habe ich recht? Was ist denn passiert? Denn
bei Gott, in Ihrer Jugend gab es niemanden, der ungehobelter war als Sie.«
    Er hätte es erklärt, wenn er
gewusst hätte, welche Art von Erklärung Wykys verstehen würde. Ich habe
aufgehört, mich zu prügeln, weil ich mir jeden Tag Fresken angeschaut habe, als
ich in Florenz lebte? Er sagte: »Ich habe einen leichteren Weg zu leben
gefunden.«
    Mit der Zeit war Wykys müde
geworden und hatte das Geschäft schleifen lassen. Er schickte immer noch Broadcloth, feines schwarzes Tuch, auf den
norddeutschen Markt, obwohl Wolle dieser Tage so lang im Vlies und gutes Broadcloth schwer zu weben war.
Eigentlich hätte er auf Kersey oder ähnliche, leichtere Stoffe umsteigen und sie über
Antwerpen nach Italien exportieren müssen. Er hörte zu - er war ein guter
Zuhörer -, als der alte Mann herumnörgelte, und sagte: »Die Zeiten ändern sich.
Ich nehme Sie dieses Jahr mit zu den Tuchmessen.«
    Wykys wusste, dass er sich in
Antwerpen und Bergen op Zoom zeigen sollte, aber er scheute die Überfahrt.
»Wenn ich dabei bin, passiert ihm nichts«, hatte er Mistress Wykys erklärt.
»Ich kenne eine gute Familie, bei der wir wohnen können.«
    »Ganz recht, Thomas Cromwell«,
sagte sie. »Und merken Sie sich: keine merkwürdigen holländischen Getränke. Keine
Frauen. Keine verbannten Prediger in Kellern. Ich weiß, was Sie treiben.«
    »Ich weiß nicht, ob ich mich
von Kellern fernhalten kann.«
    »Dann ein Kompromiss. Sie
können ihn zu einer Predigt mitnehmen, solange Sie ihn nicht ins Bordell
schleppen.«
    Er hat den Verdacht, dass
Mercy Wykys aus einer Familie stammt, in der John Wycliffes Schriften lebendig
gehalten werden, in der die Heilige Schrift schon immer auf Englisch bekannt
war; beschriebene Papierschnipsel, die gehortet werden, im Kopf verankerte verbotene
Verse.
    Diese Dinge werden über die
Generationen weitergegeben wie Augen und Nasen, wie

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