Mantel, Hilary
meine
Fähigkeiten für begrenzt halten.«
»Manche Sujets widerstehen Ihnen, da bin ich sicher.«
Richard kommt herein. »Francis Bryan ist hier.«
»Lady Annes Vetter.« Er steht auf.
»Sie müssen nach Whitehall
kommen. Lady Anne zertrümmert die Möbel und zerschmettert die Spiegel.«
Er flucht leise. »Geleite du Master Holbein zum
Abendessen.«
Francis Bryan lacht so heftig,
dass sein Pferd unter ihm nervös zusammenzuckt, zur Seite ausweicht und
Passanten in Gefahr bringt. Als sie in Whitehall eintreffen, hat er folgende
Geschichte zusammenbekommen: Anne hat soeben erfahren, dass sich Harry Percys
Frau, Mary Talbot, anschickt, eine Scheidungsklage im Parlament einzureichen.
Zwei Jahre lang, sagt sie, hat ihr Mann das Bett nicht mit ihr geteilt, und als
sie ihn schließlich fragte, warum, sagte er, er könne die Vorspiegelung
falscher Tatsachen nicht fortführen; sie seien nicht wirklich verheiratet und
seien es auch nie gewesen, da er mit Anne Boleyn verheiratet sei.
»Mylady ist wütend«, sagt
Bryan. Seine Augenklappe, die mit Juwelen verziert sind, funkelt, als er
kichert. »Sie sagt, Harry Percy wird ihr alles verderben. Sie kann sich nicht
entscheiden, ob sie ihn mit einem einzigen Schwerthieb totschlagen oder in
vierzig Tagen der öffentlichen Folter auseinandernehmen soll, wie es in Italien
üblich ist.«
»Diese Geschichten sind stark übertrieben.«
Er ist nie Zeuge von Lady
Annes unkontrollierten Wutausbrüchen geworden und glaubt auch nicht recht an
sie. Als er eingelassen wird, läuft sie hin und her, ringt die Hände und sieht
klein und angespannt aus, als hätte sie jemand gestrickt und die Maschen zu eng
zusammengezogen. Drei Damen - Jane Rochford, Mary Shelton, Mary Boleyn - folgen
ihr mit den Augen. Ein kleiner Teppich, der vielleicht an der Wand hängen
sollte, liegt zerknautscht am Boden. Jane Rochford sagt: »Wir haben das
zerbrochene Glas zusammengefegt.« Sir Thomas Boleyn, Monseigneur, sitzt an
einem Tisch, einen Stapel Papiere vor sich. George sitzt neben ihm auf einem
Hocker. George hat den Kopf in die Hände gelegt. Seine Ärmel sind nur halb
gepufft. Der Herzog von Norfolk starrt in den Kamin, wo ein Feuer
aufgeschichtet, aber nicht entfacht ist, vielleicht versucht er, den Funken
allein durch die Macht seines Blickes zu entzünden.
»Schließ die Tür, Francis«,
sagt George, »und lass niemanden sonst herein.«
Er ist der Einzige im Raum,
der kein Howard ist.
»Ich schlage vor, wir packen
Annes Sachen und schicken sie nach Kent«, sagt Jane Rochford. »Der Zorn des
Königs, wenn er einmal entfacht ist...«
George: »Sag nichts mehr oder
ich schlage vielleicht zu.«
»Es ist mein ehrlicher Rat.«
Jane Rochford, Gott schütze sie, ist eine jener Frauen, die nicht wissen, wann
sie aufhören müssen. »Master Cromwell, der König hat zu verstehen gegeben, dass
es eine Untersuchung geben muss. Die Sache muss vor den Kronrat kommen. Dieses
Mal kann man es nicht hinbiegen. Harry Percy wird uneingeschränkt aussagen. Und
was der König schon getan hat, was er noch zu tun beabsichtigt - unmöglich,
all das für eine Frau zu tun, die eine heimliche Heirat verschweigt.«
»Ich wünschte, ich könnte mich
von dir scheiden lassen«, sagt George. »Ich wünschte, du wärst schon jemand
anderem versprochen gewesen, aber mein Gott, keine Chance, die Felder waren
schwarz vor Männern, die in die andere Richtung gelaufen sind.«
Monseigneur hält eine Hand in
die Höhe. »Bitte.«
Mary Boleyn sagt: »Was für einen
Sinn hat es, Master Cromwell herzubitten und ihm nicht zu sagen, was
vorgefallen ist? Der König hat bereits mit Mylady, meiner Schwester,
gesprochen.«
»Ich streite alles ab«, sagt
Anne. Es ist, als stünde der König vor ihr.
»Gut«, sagt er. »Gut.«
»Dass der Earl von seiner
Liebe zu mir gesprochen hat, räume ich ein. Er schrieb mir Gedichte, und weil
ich damals ein junges Mädchen war, konnte ich nichts Unrechtes daran erkennen
...«
Er muss beinahe lachen.
»Gedichte? Harry Percy? Haben Sie sie noch?«
»Nein. Natürlich nicht. Nichts
Schriftliches.«
»Das macht es einfacher«, sagt
er behutsam. »Und natürlich gab es kein Versprechen, keinen Vertrag, und es war
auch nicht davon die Rede.«
»Und«, sagt Mary, »nichts ist
in irgendeiner Weise vollzogen worden. Das ist unmöglich. Meine Schwester ist
eine notorische Jungfrau.«
»Und wie hat es der König
aufgenommen, war er ...«
»Er verließ das Zimmer«, sagt
Mary, »und ließ sie
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