Mantel, Hilary
sollte sie?«, sagt Riehe.
Audley verdreht die Augen.
»Weil sie mit den Heiligen im Himmel spricht. Die müssen es ja wissen.«
Er sieht Riehe an, und es ist,
als könne er dessen Gedanken lesen: Niccoló sagt in seinem Buch, dass der weise
Fürst die Neider ausrottet, und wenn ich, Riehe, König wäre, wären diese
Thronanwärter und ihre Familien tot. Das Mädchen ist gewappnet für die nächste
Frage: Wie kommt es, dass sie zwei Königinnen in ihrer Vision gesehen hat? »Ich
vermute, das wird sich von alleine regeln«, sagt er, »wenn gekämpft wird. Es
ist gut, ein paar Könige und Königinnen in Reserve zu haben, wenn man einen
Krieg in einem Land anfängt.«
»Es ist nicht nötig, einen
Krieg zu führen«, sagt die Nonne. Oh? Sir Spitz setzt sich auf: Das ist neu.
»Gott schickt England stattdessen eine Seuche. Henry wird in sechs Monaten tot
sein. Und sie auch, Thomas Boleyns Tochter.«
»Und ich?«
»Sie auch.«
»Und alle anderen in diesem
Raum? Außer Ihnen natürlich? Alle und auch Alice Wellyfed, die Ihnen nie etwas
Böses getan hat?«
»Alle Frauen in Ihrem Haus
sind Ketzerinnen, und die Seuche wird sie an Körper und Seele zugrunde
richten.«
»Wie steht es mit Prinzessin
Elizabeth?«
Sie dreht sich auf ihrem
Stuhl, um ihre Worte an Cranmer zu richten. »Es heißt, bei der Taufe haben Sie
das Wasser erwärmt, um ihr einen Schock zu ersparen. Sie hätten es kochend auf
sie schütten sollen.«
Oh, Gott im Himmel, sagt
Riehe. Er wirft seine Feder hin. Er ist ein zärtlicher junger Vater mit einer
Tochter in der Wiege.
Er legt tröstend eine Hand auf
die des Kronanwalts. Man würde denken, Alice müsste getröstet werden; aber als
die Magd sie zum Tode verurteilte, hat er durch den Raum auf seine Nichte
geblickt und festgestellt, dass sich Spott in seiner reinsten Form auf ihrem
Gesicht abzeichnete. Er sagt zu Riehe: »Das hat sie sich nicht selbst
ausgedacht, das kochende Wasser. Das wird auf den Straßen gesagt.«
Cranmer krümmt sich; die Magd
hat ihn verletzt, sie hat einen Punkt erzielt. Er, Cromwell, sagt: »Ich habe
die Prinzessin gestern gesehen. Sie gedeiht trotz ihrer Feinde, die ihr Böses
wollen.« Seine Stimme mahnt zur Ruhe: Wir müssen den Erzbischof wieder in den
Sattel bekommen. Er wendet sich an die Magd: »Sagen Sie, haben Sie den Kardinal
lokalisiert?«
»Was?«, sagt Audley.
»Dame Elizabeth sagte, sie
würde auf einem ihrer Ausflüge in den Himmel, die Hölle und das Fegefeuer nach
meinem früheren Herrn Ausschau halten, und ich habe angeboten, ihr die
Reisekosten dafür zu erstatten. Ich habe ihren Leuten eine Anzahlung gegeben -
ich hoffe doch, es gibt Fortschritte?«
»Wolsey hätte weitere fünfzehn
Jahre zu leben gehabt«, sagt das Mädchen. Er nickt: Das hat er auch gesagt.
»Aber dann hat Gott ihn vom Leben abgeschnitten, um ein Exempel zu statuieren.
Ich habe Teufel gesehen, die sich um seine Seele stritten.«
»Kennen Sie das Ergebnis?«,
fragt er.
»Es gibt kein Ergebnis. Ich
habe ihn überall gesucht. Ich glaubte schon, Gott hätte ihn ausgelöscht. Aber
dann sah ich ihn eines Nachts.« Ein langes, taktisches Zögern. »Ich sah seine
Seele im Kreise der Ungeborenen.«
Stille tritt ein. Cranmer
sinkt auf seinem Stuhl zusammen. Riehe knabbert leicht am Ende seiner Feder.
Audley dreht einen Knopf an seinem Ärmel herum und herum, bis der Faden sich
spannt.
»Wenn Sie möchten, kann ich
für ihn beten«, sagt die Magd. »Gott antwortet normalerweise auf meine Bitten.«
»Früher, als Sie Ihre Berater
um sich hatten, Vater Bocking und Vater Gold und Vater Risby und die anderen,
war dies der Punkt, an dem Sie zu feilschen anfingen. Ich bot dann eine weitere
Summe für Ihren guten Willen an, und Ihre spirituellen Anleiter trieben sie in
die Höhe.«
»Warten Sie.« Cranmer legt
eine Hand auf seinen Brustkorb. »Können wir zurückgehen? Lordkanzler?«
»Wir können in jede von Ihnen
gewünschte Richtung gehen, Mylord Erzbischof. Meinetwegen auch dreimal um den
Maulbeerbusch, wenn Sie wollen ...«
»Sehen Sie Teufel?« Sie nickt.
»Wie erscheinen sie?«
»Als Vögel.«
»Immerhin ein Trost«, sagt
Audley trocken.
»Nein, Sir. Luzifer stinkt.
Seine Klauen sind missgebildet. Er kommt als Hahn und ist mit Blut und Scheiße
beschmiert.«
Er sieht zu Alice hinüber,
erwägt, sie rauszuschicken. Er denkt: Was ist dieser Frau bloß angetan worden?
Cranmer sagt: »Das muss
unangenehm für Sie sein. Aber es ist ein Charakteristikum von Teufeln, meine
ich, dass
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