Mantel, Hilary
dass der Verrat in den
kommenden Jahren neue und verschiedene Formen annehmen wird. Als das letzte
einschlägige Gesetz gemacht wurde, konnte niemand seine Worte in einem gedruckten
Buch oder auf einem Plakat verbreiten, weil an gedruckte Bücher nicht zu
denken war. Einen Moment lang empfindet er Neid auf die Toten, auf die
Menschen, die ihren Königen in langsameren Zeiten dienten; heutzutage können
die Ausgeburten eines gekauften oder vergifteten Hirns innerhalb eines Monats
in ganz Europa verbreitet werden.
»Ich denke, wir benötigen neue
Gesetze«, sagt Riehe. »Ich kümmere mich darum.«
»Und ich glaube, dass diese
Frau zu nachsichtig behandelt wird. Wir sind zu weich. Wir spielen nur mit
ihr.«
Cranmer geht davon, mit
gebeugten Schultern, sein Habit schleift auf dem Boden und wirbelt die Blätter
auf. Audley dreht sich zu ihm um, heiter und energisch, ein Mann, der unbedingt
das Thema wechseln will. »Nun zur Prinzessin. Sie sagten, es geht ihr gut?«
Die Prinzessin war ohne
Windeln auf Kissen zu Annes Füßen gelegt worden: ein hässliches, violettes,
quengelndes Knäuel Weiblichkeit mit einer abstehenden hellen Haarkrause und der
Angewohnheit, ihr Kleid mit den Füßen nach oben zu stoßen, als wolle sie ihr
bedauerlichstes Merkmal zur Schau stellen. Anscheinend sind Geschichten
verbreitet worden, dass Annes Kind mit Zähnen geboren wurde, sechs Finger an
jeder Hand hat und am ganzen Körper behaart ist wie ein Affe, weshalb ihr Vater
sie den Botschaftern nackt gezeigt hat und ihre Mutter sie beständig zur Schau
stellt und hofft, so den Gerüchten begegnen zu können. Der König hat Hatfield
zu ihrem Sitz gewählt, und Anne sagt: »Mir scheint, dass wir Verschwendung
meiden und die richtige Ordnung der Dinge herstellen könnten, wenn der
Haushalt der spanischen Mary aufgelöst und sie selbst ein Mitglied des
Haushalts der Prinzessin Elizabeth, meiner Tochter, werden würde.«
»In der Eigenschaft von ... ?«
Das Kind ist ruhig; aber nur, bemerkt er, weil es eine Faust in seinen Schlund
gesteckt hat und an sich selbst nagt.
»In der Eigenschaft als
Dienerin meiner Tochter. Was sonst? Es kann keinen Anschein von Gleichheit
geben. Mary ist ein Bastard.«
Die kurze Atempause ist
vorbei; die Prinzessin hebt zu einem Kreischen an, das die Toten herbeiholen
könnte. Annes Blick gleitet zur Seite, ein verliebtes Lächeln nimmt ihr
Gesicht ganz in Besitz, und sie beugt sich zu ihrer Tochter hinunter, aber
sofort stoßen geschäftig und flatternd Frauen herab; die schreiende Kreatur
wird hochgerissen, eingewickelt, fortgetragen, und der traurige Blick der
Königin folgt der Frucht ihres Leibes, als diese in einem feierlichen Zug ihren
Abgang macht. Er sagt sanft: »Ich glaube, sie hatte Hunger.«
Samstagabend: ein Essen in Austin
Friars für Stephen Vaughan, wie so oft auf der Durchreise: William Butts, Hans,
Kratzer, Nennt-mich-Risley. Das Gespräch findet in verschiedenen Sprachen statt
und Rafe Sadler übersetzt geschickt, flüssig; sein Kopf wendet sich von einer
Seite zur anderen: bedeutende Themen und unbedeutende, Staatskunst und Klatsch,
Zwinglis Theologie, Cranmers Frau. Was Letztere betrifft, so war es nicht
möglich, das Gerede im Steelyard und in der City zu unterdrücken; Vaughan
sagt: »Kann Henry es wissen und zugleich nicht wissen?«
»Das ist sehr gut möglich. Er
ist ein Fürst mit einem sehr großen Fassungsvermögen.«
Das täglich größer wird, sagt
Wriothesley lachend; Dr Butts sagt: Er gehört zu jenen Männern, die aktiv sein
müssen, und in letzter Zeit schmerzt ihn sein Bein, die alte Verletzung; aber
bedenken Sie, wie wahrscheinlich ist es denn, dass ein Mann, der sich im
Jagdrevier und auf dem Turnierplatz nicht geschont hat, keinerlei Verletzung
hat, wenn er das Alter das Königs erreicht? Er ist im dreiundvierzigsten Jahr,
wissen Sie, und ich wäre froh, Kratzer, Ihre Meinung zu erfahren, was die
Planeten für die späteren Jahre eines Mannes zu sagen haben, dessen Diagramm so
von Luft und Feuer dominiert wird; übrigens, habe ich nicht immer vor seinem
Mond im Schützen (ein vorschneller und hastiger Planet) im Haus der Ehe
gewarnt?
Er sagt ungeduldig: Wir haben
sehr wenig über den Mond im Schützen gehört, als er zwanzig Jahre lang mit
Katherine lebte. Es sind nicht die Sterne, die uns formen, Dr Butts, es sind
Umstände und necessita, die
Entscheidungen, die wir unter Druck treffen; unsere Tugenden formen uns, aber
Tugenden sind nicht genug, wir müssen
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