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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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manchmal auch unsere Laster einsetzen.
Oder stimmen Sie mir nicht zu?
    Er macht Christophe ein
Zeichen, dass er ihre Gläser füllen soll. Sie sprechen über die Münzanstalt, wo
Vaughan einen Posten bekommen soll; über Calais, wo Honor Lisle die Affären
anscheinend fleißiger betreibt als ihr Mann, der Gouverneur. Er denkt an
Giulio Camillo in Paris, der sorgenvoll zwischen den hölzernen Wänden seiner
Gedächtnismaschine hin und her läuft, während in Höhlungen und verborgenen
inneren Räumen das Wissen ungesehen und von alleine wächst. Er denkt an die
Magd - von der man inzwischen weiß, dass sie weder heilig noch jungfräulich
ist -, die zweifellos in diesem Augenblick mit seinen Nichten beim Abendessen
sitzt. Er denkt an die Männer, die sie mit ihm zusammen verhören: Cranmer betet
auf den Knien, Sir Spitz runzelt die Stirn über den Mitschriften des Tages, Audley
- was tut wohl der Lordkanzler? Er reibt seine Amtskette blank, entscheidet er.
Er will gerade zu Vaughan sagen, leise, abseits des allgemeinen Gesprächs: Gab
es in Ihrem Haus nicht ein Mädchen namens Jenneke? Was ist mit ihr geschehen?
Aber Wriothesley unterbricht seinen Gedankengang. »Wann bekommen wir das
Porträt meines Herrn zu sehen? Sie arbeiten schon eine ganze Weile daran,
Hans, es wird langsam Zeit, dass es fertig wird. Wir sind gespannt darauf zu
sehen, was Sie aus ihm gemacht haben.«
    »Er hat immer noch mit den
französischen Gesandten zu tun«, sagt Kratzer. »De Dinteville will sein Bild
mit nach Hause nehmen, wenn er endlich abberufen wird ...«
    Es gibt einiges Gelächter auf
Kosten des französischen Botschafters, der ständig packt und dann wieder
auspacken muss, wenn sein Herr ihm befiehlt, dort zu bleiben, wo er ist.
»Ohnehin hoffe ich, dass er es nicht zu schnell mitnimmt«, sagt Hans, »weil ich
beabsichtige, es zu zeigen und eventuell weitere Aufträge zu erhalten. Ich
möchte, dass der König es sieht, tatsächlich möchte ich den König malen.
Glauben Sie, es ist möglich?«
    »Ich frage ihn«, sagt er
leichthin. »Lassen Sie mich den Zeitpunkt wählen.« Er blickt den Tisch hinunter
und sieht Vaughan vor Stolz glühen wie Jupiter auf einem Deckengemälde.
    Nachdem sie vom Tisch
aufgestanden sind, essen seine Gäste Ingwerkonfekt und kandierte Früchte, und
Kratzer macht ein paar Zeichnungen. Er zeichnet die Sonne und die Planeten in
ihren Umlaufbahnen nach dem Plan, von dem er durch Vater Kopernikus gehört
hat. Er zeigt, wie sich die Welt um ihre eigene Achse dreht, und niemand im
Raum leugnet das. Unter ihren Füßen können sie den Zug und den Hub spüren; die
Felsen ächzen, weil sie sich losreißen wollen, die Ozeane kippen und klatschen
an ihre Küsten, die Alpenpässe schlingern schwindelerregend, die Wälder von
Deutschland reißen an ihren Wurzeln, um frei zu sein. Die Welt ist nicht die,
die sie war, als er und Vaughan jung waren, sie ist nicht einmal die, die sie
in den Tagen des Kardinals war.
    Die Gäste sind gegangen, als
seine Nichte Alice kommt; in einen Umhang gehüllt, geht sie an seinen
Wachleuten vorbei; sie wird von Thomas Rotherham begleitet, einem seiner
Mündel, das im Haus lebt. »Keine Angst, Sir«, sagt sie, »Jo hält Wache bei Dame
Elizabeth, und Jo entgeht nichts.«
    Wirklich nicht? Diesem Kind,
das ständig in Tränen aufgelöst ist wegen verunglückter Nähte? Diesem
schmuddeligen kleinen Mädchen, das man manchmal mit einem nassen Hund unter
einem Tisch herumrollen oder einem Hausierer auf der Straße nachjagen sieht?
»Ich würde gerne mit Ihnen sprechen«, sagt Alice, »wenn Sie Zeit für mich
haben.« Natürlich, sagt er, nimmt ihren Arm, nimmt ihre Hand; Thomas Rotherham
wird blass - was ihn verwirrt - und stiehlt sich davon.
    Alice setzt sich in seinem Büro.
Sie gähnt. »Entschuldigung - aber es ist harte Arbeit, und es sind viele
Stunden.« Sie steckt eine Haarsträhne unter ihre Haube. »Sie hält nicht mehr
lange durch«, sagt sie. »Ihnen spielt sie die Mutige vor, aber sie weint
nachts, weil sie weiß, dass sie eine Betrügerin ist. Und sogar wenn sie weint,
blinzelt sie unter den Augenlidern hervor, um festzustellen, welche Wirkung sie
damit erzielt.«
    »Ich möchte, dass das jetzt
endet«, sagt er. »Mit all den Schwierigkeiten, die sie uns bereitet hat, sind wir
nicht gerade ein erbauliches Spektakel, wir drei oder vier Männer, die das
Recht und die Schriften studiert haben und Tag für Tag zusammenkommen, um so
ein junges Ding zum Stolpern zu bringen.«
    »Warum

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