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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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wurde sie nicht schon
früher zur Rechenschaft gezogen?«
    »Ich wollte nicht, dass sie
ihren Prophetenladen dichtmacht. Ich wollte sehen, wer angerannt kommt, wenn
sie pfeift. Lady Exeter kam und Bischof Fisher auch. Und zwanzig Mönche und
törichte Priester, deren Namen ich kenne, und vielleicht einhundert, deren
Namen ich noch nicht kenne.«
    »Und wird der König sie alle
töten?«
    »Sehr wenige, hoffe ich.«
    »Sie veranlassen ihn zur
Gnade?«
    »Ich veranlasse ihn zur
Geduld.«
    »Was wird mit ihr geschehen?
Dame Eliza?«
    »Wir werden eine Anklage
formulieren.«
    »Sie wird nicht in den Kerker
kommen?«
    »Nein, ich werde den König
dazu bewegen, sie nachsichtig zu behandeln. Er respektiert Personen des
religiösen Lebens — normalerweise. Aber Alice«, er sieht, dass sie sich in
Tränen auflöst, »ich glaube, das ist alles zu viel für dich gewesen.«
    »Nein, keineswegs. Wir sind
alle Soldaten in Ihrer Armee.«
    »Sie hat dich nicht erschreckt
mit ihrem Gerede von den bösen Angeboten des Teufels?«
    »Nein, es sind Thomas
Rotherhams Angebote ... er will mich heiraten.«
    »Ach so, das ist mit ihm los!«
Er ist belustigt. »Konnte er nicht selbst fragen?«
    »Er glaubt, Sie würden ihn auf
die gewisse Weise ansehen ... als ob Sie ihn wiegen.«
    Wie eine beschnittene Münze?
»Alice, er besitzt eine dicke Scheibe von Bedfordshire und seine Landgüter
gedeihen prächtig, seit ich mich darum kümmere. Und wenn ihr euch mögt, wie
könnte ich da Einwände haben? Du bist ein kluges Mädchen, Alice. Deine
Mutter«, sagt er sanft, »und dein Vater würden sich sehr freuen, wenn sie dich
sehen könnten.«
    Das ist der Grund, warum Alice
weint. Sie muss die Erlaubnis ihres Onkels einholen, weil sie dieses Jahr zur
Waise geworden ist. An dem Tag, als seine Schwester Bet starb, war er mit dem
König auf dem Land. Henry empfing aus Angst vor Ansteckung keine Boten aus London,
und deshalb war Bet tot und begraben, bevor er überhaupt wusste, dass sie krank
war. Als  die Nachricht endlich doch durchsickerte, sprach der König sehr
warmherzig mit ihm, er legte eine Hand auf seinen Arm; er sprach von seiner
eigenen Schwester, der Lady, die silbernes Haar wie eine Prinzessin aus einem
Buch gehabt hatte; sie war aus diesem Leben in paradiesische Gärten gegangen,
die für die königlichen Toten reserviert sind, wie er behauptete; denn es ist
unmöglich, hatte er gesagt, sich diese Dame an einem niedrigen Ort
vorzustellen, einem Ort der Dunkelheit, im verriegelten Beinhaus des
Purgatoriums mit seiner fliegenden Asche und dem Schwefelgestank, seinem
kochenden Teer und den trüben Wolken voller Eisregen.
    »Alice«, sagt er, »trockne
deine Tränen, geh zu Thomas Rotherham und beende seine Qual. Du brauchst morgen
nicht nach Lambeth zu kommen. Jo kann kommen, wenn sie so tüchtig ist, wie du
sagst.«
    Alice dreht sich in der Tür
um. »Aber ich werde sie noch einmal sehen? Eliza Barton? Ich würde sie gerne
sehen, bevor ...«
    Bevor sie getötet wird. Alice
ist nicht naiv, sie kennt sich aus in dieser Welt. Umso besser. Man sieht ja,
wie die Naiven enden: Leute, die vor Sünde triefen, zynische Leute benutzen
sie, biegen sie für ihre Zwecke zurecht und zertreten sie dann unter ihren
Füßen.
    Er hört, wie Alice nach oben
rennt. Er hört sie rufen: Thomas, Thomas ... Es ist ein Name, der den halben
Haushalt aufschreckt und aus Nachtgebeten, gar aus Betten stürzen lässt: Ja,
suchst du mich? Er zieht seine pelzbesetzte Robe über und geht hinaus, um die
Sterne zu betrachten. Das Gelände seines Hauses wird gut beleuchtet; die Gärten
im Fackellicht sind Ausgrabungsstätten, für Fundamente werden Gräben
ausgehoben, die Erde türmt sich in Schubkarren und Haufen. Das riesige
Holzgerüst für einen neuen Flügel ragt in den Himmel; im Mittelgrund seine
neue Anpflanzung, ein Obstgarten in der Stadt, wo Gregory eines Tages die
Früchte ernten wird, auch Alice und Alice' Söhne. Er hat schon Obstbäume, aber
er möchte Kirschen und Pflaumen wie die, die er im Ausland gegessen hat, und
späte Birnen, um sie auf toskanische Weise zu verwenden und ihr knackiges metallisches
Fruchtfleisch im Winter mit dem gepökelten Kabeljau zu servieren. Im nächsten
Jahr will er dann einen weiteren Garten bei der Jagdhütte anlegen, die er in
Canonbury hat, damit sie zu einem Sommerhaus in den Feldern wird, zu einer
Zuflucht vor der Stadt. Auch in Stepney wird gerade an Erweiterungen
gearbeitet; John Williamson beaufsichtigt die Bauleute für

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