Mantel, Hilary
die Tante der Königin vor dem Master of the Jewel House? Eher nicht, scheint sie zu
denken. »Ich vermute, Lady Bryan hat Ihnen bereits ausführlich über ihren
Schützling Bericht erstattet?«
»In der Tat, und vielleicht
könnten wir einen Bericht über den Ihren erhalten?«
»Sie wollen Lady Mary nicht persönlich sprechen?«
»Doch, aber eine Vorwarnung ...«
»In der Tat. Ich bin nicht
bewaffnet, obwohl meine Nichte, die Königin, empfiehlt, dass ich sie mit den
Fäusten traktiere.« Ihre Augen gleiten abschätzend über ihn; die Luft knistert
vor Spannung. Wie machen Frauen das? Man könnte es lernen, eventuell; er spürt
mehr als er sieht, dass sein Sohn zurückweicht, bis sein Rückzug von dem
Schrank aufgehalten wird, in dem die bereits beträchtliche Sammlung von Gold- und
Silbergeschirr der Prinzessin Elizabeth ausgestellt ist. Lady Shelton sagt:
»Wenn Lady Mary mir nicht gehorcht, bin ich ermächtigt, und hier zitiere ich
die Worte meiner Nichte, das Balg zu schlagen und zu schütteln. Bastard bleibt
Bastard.«
»Oh, Mutter Gottes!«, stöhnt
Lady Bryan. »Ich habe mich damals auch um Mary gekümmert, und sie war als Kind
ein solcher Dickkopf. Sie wird sich nicht ändern, sosehr man sie auch
schüttelt. Sie möchten doch sicher zuerst das Baby sehen? Kommen Sie mit ...«
Sie nimmt Gregory in ihre Obhut, ihre Hand drückt seinen Ellenbogen. Und weiter
plappert sie: Wissen Sie, in diesem Alter kann Fieber bei einem Kind alles Mögliche
bedeuten. Es könnten die ersten Anzeichen von Masern sein, Gott bewahre. Es
könnten die ersten Anzeichen von Pocken sein. Bei einem Kind von sechs Monaten
weiß man nie, wovon es die ersten Anzeichen sein könnten... Ein Puls schlägt in
Lady Bryans Hals. Während sie schnattert, leckt sie sich über ihre trockenen
Lippen und schluckt.
Er versteht jetzt, warum Henry
wollte, dass er hier ist. Die Dinge, die vor sich gehen, können nicht in einem
Brief übermittelt werden. Er sagt zu Lady Shelton: »Soll das heißen, die
Königin hat Ihnen wegen Lady Mary geschrieben und diese Ausdrücke benutzt?«
»Nein. Sie hat mir eine
mündliche Anweisung zukommen lassen.« Sie rauscht ihm voran. »Denken Sie, ich
sollte sie in die Tat umsetzen?«
»Wir sollten vielleicht unter
vier Augen sprechen«, flüstert er.
»Ja, warum nicht?«, sagt sie:
eine Wendung des Kopfes, eine geflüsterte Erwiderung.
Das Kind Elizabeth ist in
Lagen fest eingewickelt, seine Fäuste sind verborgen: ebenso gut, es sieht aus,
als würde es zuschlagen. Rötliche Borsten schauen unter seiner Haube hervor,
und seine Augen sind wachsam; er hat noch nie ein Kind in der Wiege gesehen,
das so deutlich den Eindruck vermittelte, ganz schnell beleidigt zu sein. Lady
Bryan sagt: »Finden Sie, dass sie wie der König aussieht?«
Er zögert, versucht, beiden
Seiten gegenüber fair zu sein. »So sehr, wie es für ein kleines Mädchen
angebracht ist.«
»Wir wollen hoffen, dass sie
nicht seinen Umfang bekommt«, sagt Lady Shelton. »Er legt immer mehr zu.«
»Aber George Rochford sagt
nein.« Lady Bryan beugt sich über die Wiege. »Er sagt, sie ist eine Boleyn
durch und durch.«
»Wir wissen, dass meine Nichte
etwa dreißig Jahre lang in Keuschheit verbracht hat«, sagt Lady Shelton, »aber
nicht einmal Anne konnte eine jungfräuliche Geburt bewerkstelligen.«
»Aber die Haare!«, sagt er.
»Ich weiß«, seufzt Lady Bryan.
»Mit aller Hochachtung für die Würde Ihrer Gnaden und bei allem Respekt für
Seine Majestät, aber man könnte sie auf einem Jahrmarkt als Schweinebaby zeigen.«
Sie biegt die Haube des Kindes am Haaransatz nach oben, und ihre Finger sind
eifrig damit beschäftigt, die Borsten zu verstecken. Das Kind kneift das
Gesicht zusammen und hickst aus Protest.
Gregory sieht nachdenklich auf
sie herunter: »Sie könnte jedermanns Kind sein.«
Lady Shelton hebt die Hand, um
ihr Lächeln zu verbergen. »Sie wollen sagen, Gregory, dass alle Babys gleich
aussehen. Kommen Sie, Master Cromwell.«
Sie ergreift seinen Ärmel, um
ihn wegzuziehen. Lady Bryan bleibt zurück, um die Prinzessin, deren Hüllen sich
irgendwo gelockert haben, wieder fest einzuwickeln. Über die Schulter sagt er:
»Um Himmels willen, Gregory.« Es sind schon Leute in den Tower gekommen, die weniger
gesagt haben. Er sagt zu Lady Shelton: »Ich sehe nicht, wie Mary ein Bastard
sein kann. Ihre Eltern waren guten Glaubens, als sie das Kind bekamen.«
Sie bleibt stehen, eine
Augenbraue in die Höhe gezogen. »Würden Sie das
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