Mantel, Hilary
ersten Sohn,
seinem zweiten Sohn, etlichen Söhnen, über die ich keinen Überblick mehr habe,
und noch einmal dem Kaiser oder einem seiner Vettern. Es sind so viele
Eheverträge für mich geschlossen worden, dass ich erschöpft davon bin. Aber
eines Tages werde ich es tatsächlich tun.«
»Aber Sie werden nicht Pole
heiraten.«
Sie zuckt zusammen, und er
weiß, dass ihr der Vorschlag unterbreitet wurde: Vielleicht von ihrer alten
Gouvernante Margaret Pole, vielleicht von Chapuys, der bis in den frühen Morgen
aufbleibt und die Stammbäume der englischen Aristokratie studiert: um ihren
Anspruch zu erhärten, um sie unanfechtbar zu machen, um die halbspanische
Tudor durch Heirat mit der alten Plantagenet-Linie zu vereinen. Er sagt: »Ich
habe Pole getroffen. Ich habe ihn kennengelernt, bevor er das Königreich verließ.
Er ist kein Mann für Sie. Was für einen Ehemann Sie auch bekommen, er wird
einen starken Schwertarm brauchen. Pole ist wie ein abergläubisches altes
Weib, das am Feuer sitzt und auf das bucklige Männlein starrt. In seinen Venen
fließt heiliges Wasser, sonst nichts, und angeblich weint er bitterlich, wenn
sein Diener eine Fliege totschlägt.«
Sie lächelt: Aber sie schlägt
sich die Hand vor den Mund wie einen Knebel. »Das ist richtig«, sagt er. »Sie
sagen niemandem etwas.«
Sie sagt, durch ihre Finger
hindurch: »Ich kann nicht genug sehen, um zu lesen.«
»Was, Sie bekommen nicht
genügend Kerzen?«
»Nein, ich meine, meine
Sehkraft schwindet. Und ich habe ständig Kopfschmerzen.«
»Weinen Sie viel?« Sie nickt.
»Dr Butts wird Ihnen ein Heilmittel bringen. Bis dahin lassen Sie sich von
jemandem vorlesen.«
»Das machen sie. Sie lesen mir
Tyndales Evangelium vor. Wussten Sie, dass Bischof Tunstall und Thomas More
insgesamt zweitausend Fehler in seinem sogenannten Testament gefunden haben? Es
ist häretischer als das heilige Buch der Moslems.«
Kampfgerede. Aber er sieht
Tränen in ihren Augen. »Das kann alles in Ordnung gebracht werden.« Sie
stolpert auf ihn zu, und einen Augenblick lang glaubt er, sie würde sich
vergessen, sich an seine Brust werfen und an seinem Reitmantel weinen. »Der
Doktor wird in einem Tag hier sein. Jetzt sollen Sie ein ordentliches Feuer und
Ihr Abendessen bekommen. Wo immer Sie es gerne serviert haben wollen.«
»Ich möchte meine Mutter
sehen.«
»Das kann der König im
Augenblick nicht erlauben. Aber das könnte sich ändern.«
»Mein Vater liebt mich. Es ist
nur sie, es ist diese furchtbare Frau, die seinen Geist vergiftet.«
»Lady Shelton wäre freundlich
zu Ihnen, wenn Sie es ihr erlaubten.«
»Wer ist sie schon, um freundlich
oder unfreundlich zu sein? Ich werde Anne Shelton überleben, glauben Sie mir.
Und ihre Nichte. Und jeden anderen, der sich gegen meinen Titel stellt. Sie
können so schlimm sein, wie sie wollen. Ich bin jung. Ich werde sie aussitzen.«
Er verabschiedet sich. Gregory
folgt ihm, wobei sein faszinierter Blick zu dem Mädchen zurückwandert, das
seinen Platz an dem fast erloschenen Feuer wieder einnimmt: das seine Hände
faltet und wie versteinert mit dem Aussitzen beginnt.
»All diese Kaninchenfelle, in
die sie eingehüllt ist«, sagt Gregory. »Sie sehen wie angeknabbert aus.«
»Sie ist mit Sicherheit Henrys
Tochter.«
»Wieso, sagt irgendjemand,
dass sie es nicht ist?«
Er lacht. »Das habe ich nicht
gemeint. Stell dir vor... wenn die alte Königin sich zum Ehebruch hätte
verleiten lassen, wäre es leicht gewesen, sie loszuwerden, aber wie soll man
einen Fehler an einer Frau finden, die immer nur einen einzigen Mann gekannt
hat?« Er korrigiert sich: Es ist selbst für die größten Unterstützer des Königs
schwer, sich daran zu erinnern, dass Katherine Prinz Arthurs Frau gewesen sein
soll. »Zwei Männer gekannt hat, sollte ich sagen.« Er lässt seinen Blick über
seinen Sohn gleiten. »Mary hat dich kein einziges Mal angesehen, Gregory.«
»Hattest du das erwartet?«
»Lady Bryan findet, dass du
ein richtiger Schatz bist. Läge es da nicht in der Natur einer jungen Frau?«
»Ich glaube, sie hat gar keine
Natur.«
»Sorg dafür, dass sich jemand
um das Feuer kümmert. Ich lasse ihr etwas zum Abendessen bringen. Der König
kann nicht wollen, dass sie verhungert.«
»Sie mag dich«, sagt Gregory.
»Das ist merkwürdig.«
Er merkt, dass sein Sohn es
ernst meint. »Ist das unmöglich? Meine Töchter mochten mich, glaube ich. Obwohl
ich mir bei der armen kleinen Grace nicht sicher bin, ob sie überhaupt
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