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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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»Tragen Sie sie«, bittet ihn der Kardinal, »und wenn Sie sie
ansehen, denken Sie an mich und empfehlen Sie mich dem König.«
    Cavendish ist plötzlich dicht
neben ihm. »Sein Reliquiar!« George ist bestürzt, erstaunt. »Sich einfach davon
zu trennen! Es ist ein Stück des wahren Kreuzes Christi!«
    »Wir besorgen ihm ein neues.
Ich kenne einen Mann in Pisa, der zehn Stück für fünf Florins macht, und ein
rundes Dutzend gegen Vorkasse. Und man bekommt ein Zertifikat mit dem
Daumenabdruck des Heiligen Petrus, das die Echtheit bestätigt.«
    »Schämen Sie sich!«, sagt
Cavendish, zügelt sein Pferd und lässt es zurückfallen.
    Inzwischen entfernt sich auch
Norris, hat er doch seine Botschaft überbracht, und sie versuchen, den Kardinal
wieder auf sein Maultier zu bekommen. Dieses Mal treten vier starke Männer vor,
als wäre es Routine. Das Stück hat sich mittlerweile in eine Art volkstümliche
Posse verwandelt; das ist auch der Grund dafür, denkt er, dass Patch hier ist.
Er reitet hinüber, blickt aus dem Sattel herunter und sagt: »Norris, können wir
das alles schriftlich haben?«
    Norris lächelt, sagt: »Kaum,
Master Cromwell; es ist eine vertrauliche Botschaft für den Lordkardinal. Die
Worte meines Herrn waren nur für ihn bestimmt.«
    »Und diese Entschädigung, die
Sie erwähnt haben?«
    Norris lacht - wie er es immer
tut, um Feindseligkeit zu entschärfen — und flüstert: »Ich denke, es könnte
figurativ gemeint sein.«
    »Das halte ich auch für
möglich.« Den Wert des Kardinals verdoppeln? Nicht bei den Einkünften des
Königs. »Geben Sie uns zurück, was uns genommen wurde. Wir verlangen gar nicht
das Doppelte.«
    Norris' Hand wandert zu der
Kette, die jetzt um seinen Hals hängt. »Aber es kommt ohnehin alles vom König.
Sie können es nicht Diebstahl nennen.«
    »Ich habe es nicht Diebstahl
genannt.«
    Norris nickt nachdenklich.
»Nein, das haben Sie nicht.«
    »Die Ornate hätten sie nicht
nehmen sollen. Sie gehören meinem Herrn in seiner Funktion als Mann der Kirche.
Was wollen sie als Nächstes? Seine Pfründen?«
    »Esher - dorthin gehen Sie
doch, richtig? - ist natürlich eines der Häuser, die Mylord Kardinal als
Bischof von Winchester hält.«
    »Und?«
    »Er behält zum gegenwärtigen
Zeitpunkt diesen Stand und Titel, aber... sollen wir sagen ... der König muss
das einer Prüfung unterziehen? Sie wissen ja, dass Mylord Kardinal im Rahmen
der Praemunire-Gesetze angeklagt wird, eine fremde Jurisdiktion in diesem Land
geltend gemacht zu haben.«
    »Versuchen Sie mich nicht im
Recht zu unterweisen.«
    Norris neigt den Kopf.
    Er denkt, im letzten Frühjahr,
als sich die Lage zu verschlechtern begann, hätte ich den Lordkardinal davon
überzeugen sollen, mich seine Einkünfte verwalten zu lassen; ich hätte etwas
Geld ins Ausland schaffen können, an das sie nicht rankommen; aber er wollte
natürlich nicht zugeben, dass etwas nicht stimmte. Warum habe ich ihm seine
heitere Ruhe gelassen?
    Norris' Hand liegt am Zaumzeug
seines Pferdes. »Ich für meinen Teil habe Ihren Herrn immer bewundert«, sagt
er, »und ich hoffe, dass er sich in seiner Not daran erinnert.«
    »Ich dachte, er sei nicht in Not?
Ihnen zufolge.«
    Es wäre so einfach, nach unten
zu greifen und ein paar ehrliche Antworten aus Norris herauszuschütteln, wenn
er nur dürfte. Aber es ist nicht einfach; die Welt und der Kardinal haben sich
verschworen, um ihm genau das beizubringen. Jesus, denkt er, in meinem Alter
sollte ich das wissen. Man kommt nicht weiter, wenn man originell ist. Man
kommt nicht weiter, wenn man intelligent ist. Man kommt nicht weiter, wenn man
stark ist. Man kommt weiter, wenn man ein raffinierter Gauner ist; aus irgendeinem
Grund denkt er: Genau das ist Norris, er spürt, wie sich eine irrationale
Abneigung in ihm ausbreitet, und er versucht, sie loszuwerden, weil er lieber
rationale Abneigungen hat. Allerdings sind es auch drastische Umstände: der
Kardinal im Schlamm, das demütigende Gerangel, um ihn wieder in den Sattel zu
bekommen, das Reden, Reden auf dem Schiff, schlimmer noch, das Reden auf den
Knien, als würde Wolsey sich langsam auflösen - ein scharlachroter Faden, der
abgewickelt wird und zurück in ein scharlachrotes Labyrinth führt, mit einem
sterbenden Untier in seinem Zentrum. »Master Cromwell?«, sagt Norris.
    Er kann seine Gedanken
schlecht aussprechen, deshalb sieht er zu Norris hinunter, verleiht seinem
Gesicht einen sanfteren Ausdruck und sagt: »Danke wenigstens für diesen

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