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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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eine gute Strategie,
Leute wütend zu machen?«
    »Oh nein. Aber es amüsiert
mich. Mein Leben ist hart, und ich merke, dass ich Unterhaltung brauche.« Der
Kardinal wirft ihm einen freundlichen Blick zu; er hat den Verdacht, dass er
heute Abend zur weiteren Unterhaltung herhalten muss, jetzt wo Boleyn in Stücke
gerissen und auf den Boden geworfen wurde wie Orangenschale. »Zu wem muss man
aufsehen? Den Percys, den Staffords, den Howards, den Talbots: ja. Man braucht
einen langen Stock, um sie wachzurütteln, wenn es sein muss. Was Boleyn
betrifft - nun, der König mag ihn, und er ist ein fähiger Mann. Das ist der
Grund, warum ich all seine Briefe öffne, schon seit Jahren.«
    »Hat Ihre Lordschaft gehört -
nein, vergeben Sie mir, es taugt nicht für Ihre Ohren.«
    »Was?«, sagt der Kardinal.
    »Es ist nur ein Gerücht. Ich
möchte Ihre Gnaden nicht in die Irre führen.«
    »Sie können nicht gleichzeitig
sprechen und nicht sprechen. Jetzt müssen Sie es mir sagen.«
    »Es geht nur darum, was die
Frauen sich erzählen. Die Frauen, die Seidenarbeiten machen. Und die Ehefrauen
der Tuchhändler.« Erwartet, lächelt. »Was für Sie gewiss nicht von Interesse
sein kann.«
    Lachend schiebt der Kardinal
seinen Stuhl zurück, und sein Schatten erhebt sich mit ihm, springt geradezu im
Feuerschein. Sein Arm schnellt vor, seine Reichweite ist groß, seine Hand ist
wie die Hand Gottes.
    Aber als Gott seine Hand
schließt, steht sein Geschöpf auf der anderen Seite des Raumes an der Wand.
    Der Kardinal gibt auf. Sein
Schatten schwankt, schwankt und kommt zum Stillstand. Er ist still. Sein Atmen
wird an der Wand sichtbar. Sein Kopf neigt sich. In einem Kranz aus Licht
scheint er zu zögern, das Nichts in seiner Hand zu betrachten. Er spreizt seine
Finger, seine riesige, vom Feuer beleuchtete Hand. Er legt sie flach auf den
Schreibtisch. Sie verschwindet, verschmilzt mit dem Damast. Er setzt sich wieder.
Sein Kopf ist gesenkt, sein Gesicht im Halbdunkel.
    Er, Thomas, auch Tomos,
Tommaso und Thomaes Cromwell, ruft seine früheren Ichs in seinen gegenwärtigen
Körper zurück und schiebt sich langsam an den Platz, wo er vorher stand. Sein
Schatten gleitet über die Wand, ein Besucher, der nicht weiß, ob er willkommen
ist. Welcher Thomas hat den Schlag kommen sehen? Es gibt Augenblicke, in denen
dich eine Erinnerung durchläuft. Du zuckst, du duckst dich, du rennst; denn
sonst packt die Vergangenheit deine Faust und benutzt sie, ohne dass der Wille
eingreift. Angenommen, du hast ein Messer in der Hand? Auf diese Weise
geschehen Morde.
    Er sagt etwas, der Kardinal
sagt etwas. Sie brechen ab. Zwei Sätze gehen ins Leere. Der Kardinal setzt
sich wieder auf seinen Stuhl. Zögernd verharrt er vor ihm; er setzt sich. Der
Kardinal sagt: »Ich würde wirklich gern den Klatsch aus London hören. Aber ich
hatte nicht vor, ihn aus Ihnen herauszuprügeln.«
    Der Kardinal neigt den Kopf,
betrachtet stirnrunzelnd ein Dokument auf seinem Schreibtisch, er wartet ein
bisschen, damit der schwierige Augenblick vorübergeht, und als er wieder
spricht, ist sein Tonfall gemessen und leicht, der Tonfall eines Mannes, der
nach dem Essen Anekdoten erzählt. »Als ich ein Kind war, hatte mein Vater
einen Freund - einen Kunden, um genau zu sein - mit einer kräftig roten
Gesichtsfarbe.« Zur Illustration berührt er seinen Ärmel. »So wie das hier ...
scharlachrot. Revell war sein Name, Miles Revell.« Seine Hand wandert umher, um
wieder mit der Handfläche nach unten auf dem dunklen Damast zur Ruhe zu kommen.
»Aus irgendeinem Grund glaubte ich damals ... obwohl ich sagen würde, dass er
ein ehrlicher Bürger war und ein Glas Rheinwein schätzte ... ich glaubte
damals, er würde Blut trinken. Ich weiß nicht... eine Geschichte, die ich
vermutlich von meinem Kindermädchen gehört hatte oder von irgendeinem anderen
törichten Kind ... und als die Lehrlinge meines Vaters davon erfuhren - nur
weil ich dumm genug war, zu jammern und zu weinen riefen sie mir immer zu:
>Da kommt Revell und will seinen Becher Blut, lauf, Thomas Wolsey .. .<
Daraufhin flüchtete ich, als wäre der Teufel hinter mir her. Ich brachte den
Marktplatz zwischen uns. Es ist ein Wunder, dass ich nicht unter einen Wagen
kam. Ich rannte fort und sah nicht zurück. Noch heute«, sagt er - er nimmt ein
Wachssiegel vom Tisch, dreht es um, dreht es um, legt es hin - »noch heute,
wenn ich einen blonden Mann mit rotem Gesicht sehe - sagen wir, den Herzog von
Suffolk -, möchte ich am liebsten

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