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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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in Tränen ausbrechen.« Er hört auf zu
sprechen. Sein Blick kommt zur Ruhe. »Nun, Thomas ... kann ein Geistlicher
nicht aufstehen, ohne dass Sie denken, er ist auf Ihr Blut aus?« Er nimmt das
Siegel wieder in die Hand; er dreht es zwischen den Fingern; er wendet die Augen
ab; er beginnt mit Worten zu spielen. »Kann ein Bischof Sie beunruhigen? Ein
Küster Sie kränken? Ein Diakon Sie derangieren?«
    Er sagt: »Wie heißt das Wort?
Ich kenne es nicht auf Englisch ... estoc...«
    Vielleicht gibt es kein
englisches Wort dafür: für das Messer mit der kurzen Klinge, das man jemandem
aus großer Nähe unter die Rippen rammt. Der Kardinal sagt: »Und das war ... ?«
    Das war ungefähr vor zwanzig
Jahren. Er hat die Lektion gelernt, gründlich gelernt. Nacht, Eis, das stille
Herz Europas; ein Wald, Seen, silbern unter einem mit Wintersternen gemusterten
Himmel; ein Zimmer, Feuerschein, eine Gestalt, die über die Wand gleitet. Er
hat seinen Mörder nicht gesehen, aber die Bewegung seines Schattens.
    »Wie dem auch sei ...«, sagt
der Kardinal. »Es ist vierzig Jahre her, dass ich Master Revell begegnet bin.
Er ist schon lange tot, vermute ich. Und Ihr Mann?« Er zögert. »Auch schon
lange tot?«
    Es ist die denkbar subtilste
Art und Weise, einen Mann zu fragen, ob er jemanden getötet hat.
    »Und in der Hölle, vermute
ich. Wenn es Ihrer Lordschaft beliebt.«
    Das bringt Wolsey zum Lächeln;
nicht die Erwähnung der Hölle, aber die Verbeugung vor der Dimension seiner
Zuständigkeit. »Das heißt, wenn man den jungen Cromwell angriff, kam man direkt
in die Feuergrube?«
    »Wenn Sie ihn gesehen hätten,
Mylord. Er war noch für das Fegefeuer zu schmutzig. Das Blut des Lamms kann
viel bewirken, so sagt man, aber ich bezweifle, dass es diesen Kerl hätte
sauberwaschen können.«
    »Ich bin ganz und gar für eine
fleckenlose Welt«, sagt Wolsey. Er sieht traurig aus. »Haben Sie eine
ordentliche Beichte abgelegt?«
    »Mylord Kardinal, ich war
Soldat.«
    »Soldaten haben Hoffnung auf
den Himmel.«
    Er sieht auf und in Wolseys
Gesicht. Unmöglich zu erkennen, was er glaubt. Er sagt: »Das haben wir alle.«
Soldaten, Bettler, Seeleute, Könige.
    »Sie waren also ein Raufbold
in Ihrer Jugend«, sagt der Kardinal. »Ca ne fait rien.« Er grübelt. »Dieser schmutzige
Kerl, der Sie angegriffen hat... war es etwa ein Geistlicher?«
    Er lächelt. »Ich habe ihn nicht
gefragt.«
    »Die Streiche, die die
Erinnerung uns spielt ...«, sagt der Kardinal. »Thomas, ich werde versuchen,
mich nicht zu bewegen, ohne Sie vorzuwarnen. Auf diese Weise werden wir sehr
gut miteinander auskommen.«
    Aber der Kardinal betrachtet
ihn; er ist ihm immer noch ein Rätsel. Ihre Verbindung besteht noch nicht
lange, und der Charakter, der dem Kardinal für ihn vorschwebt, ist zu diesem
Zeitpunkt im Entstehen begriffen; vielleicht ist es sogar dieser Abend, der
die Entwicklung in Gang setzt? In den folgenden Jahren wird der Kardinal sagen:
»Ich denke oft über das mönchische Ideal nach - besonders, wenn die Jungen
entsprechend erzogen werden. Mein Diener Cromwell zum Beispiel - seine Jugend
war einsam und fast gänzlich dem Fasten, Beten und dem Studium der
Kirchenväter gewidmet. Und deshalb ist er heutzutage so wild.«
    Und wenn die Leute sagen: Ist
er das? - und sich nach Kräften bemühen, sich an einen äußerst unauffälligen
Mann zu erinnern; wenn sie sagen: Wirklich? Ihr Mann Cromwell?, schüttelt der
Kardinal den Kopf und sagt: Aber ich versuche natürlich, die Dinge in Ordnung
zu bringen. Wenn er die Fensterscheiben zerbricht, rufen wir einfach die Glaser
und zahlen. Was die Reihe gekränkter junger Frauen betrifft... Arme Kreaturen,
ich entschädige sie finanziell...
    Aber heute Abend kommt er auf
das Thema zurück; er verschränkt die Hände auf dem Schreibtisch, als wolle er
den verstrichenen Abend zusammenhalten. »Kommen Sie, Thomas, Sie wollten mir
von einem Gerücht erzählen.«
    »Die Frauen schließen aus den
Bestellungen bei den Seidenhändlern, dass der König eine neue ...« Er bricht
ab und sagt: »Mylord, wie nennt man eine Hure, wenn sie die Tochter eines
Ritters ist?«
    »Ah«, sagt der Kardinal und
widmet sich dem Problem. »>Mylady< sagt man ihr ins Gesicht. Hinter ihrem
Rücken - nun, wie heißt sie? Welcher Ritter?«
    Mit einem Nicken zeigt er auf
die Stelle, wo vor zehn Minuten Boleyn stand.
    Der Kardinal sieht erschrocken
aus. »Warum haben Sie nichts gesagt?«
    »Wie hätte ich das Thema
anschneiden sollen?«
    Der

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