Mantel, Hilary
Reihe von Warnungen, die letztlich zu Fleisch geworden
sind. Er hat dem Kardinal einen Schreck eingejagt, und das ist nicht seine
Aufgabe. Seine Aufgabe, wie er sie zu diesem Zeitpunkt sieht, ist es, dem
Kardinal Informationen zu liefern und seine Reizbarkeit zu mildern und ihn zu
verstehen und Gegenstand seiner Witze zu sein. Was schiefgegangen ist, war einfach
der zeitlichen Abfolge geschuldet. Wenn der Kardinal sich nicht so schnell
bewegt hätte; wenn er selbst nicht so nervös gewesen wäre, weil er nicht
wusste, wie er dem Kardinal signalisieren sollte, Boleyn weniger despotisch zu
behandeln. Das Problem mit England ist, denkt er, dass es so wenige Gesten
gibt. Wir sollten eine Geste entwickeln für: »Stopp, unser Fürst vögelt die
Tochter dieses Mannes«. Es überrascht ihn, dass die Italiener keine für diesen
Fall haben. Aber vielleicht haben sie eine, und er hat es einfach nicht
mitgekriegt.
Im Jahre 1529, gerade ist der
Kardinal so schmachvoll behandelt worden, wird er an jenen Abend zurückdenken.
Er ist in Esher; es ist jene
lichtlose, feuerlose Nacht, als der große Mann in sein (vermutlich feuchtes)
Bett gegangen ist, und da ist nur George Cavendish, der ihm seine Lebensgeister
bewahren kann. Und was ist dann passiert, fragt er George, mit Harry Percy und
Anne Boleyn?
Er hat die Geschichte in der
kühlen und geringschätzigen Version des Kardinals gehört. Aber George sagt:
»Ich werde Ihnen erzählen, wie es war. Jetzt. Stehen Sie auf, Master Cromwell.«
Er tut es. »Ein wenig nach links. Nun, wer wollen Sie gerne sein? Mylord
Kardinal oder der junge Erbe?«
»Ach, verstehe, es ist ein
Stück? Sie sind der Kardinal. Ich fühle mich der Rolle nicht ganz gewachsen.«
Cavendish bringt ihn in die
richtige Position, dreht ihn unmerklich vom Fenster weg, wo die Nacht und kahle
Bäume ihre Zuschauer sind. Sein Blick geht ins Leere, als sähe er die
Vergangenheit: schemenhafte Körper, die sich in diesem düsteren Raum bewegen.
»Können Sie bekümmert aussehen?«, fragt George. »Als ob Sie Widerworte auf der
Zunge haben, sie aber nicht auszusprechen wagen? Nein, nein, nicht so. Sie sind
jung, schlaksig, Sie lassen den Kopf hängen, Sie erröten.« Ca vendish seufzt. »Ich glaube,
Sie sind noch nie in Ihrem Leben errötet, Master Cromwell. Sehen Sie her.«
Cavendish legt die Hände sanft auf seine Oberarme. »Lassen Sie uns die Rollen
tauschen. Setzen Sie sich hierher. Sie sind jetzt der Kardinal.«
Sofort verwandelt sich
Cavendish. George zuckt, er fummelt, er weint fast; er wird zum zitternden
Harry Percy, einem verliebten jungen Mann. »Warum soll ich mich ihr nicht
vermählen?«, ruft er. »Obwohl sie nichts als eine einfache Jungfer ...«
»Einfach?«, sagt er.
»Jungfer?«
George funkelt ihn an. »Das
hat der Kardinal nie gesagt!«
»Nicht zu der Zeit, das ist
richtig.«
»Jetzt bin ich wieder Harry
Percy. >Obwohl sie nichts als eine einfache Jungfer, ihr Vater ein
einfacher Ritter ist, und doch ist sie von guter Herkunft ...<«
»Sie ist eine Art Kusine des
Königs, richtig?«
»Eine Art Kusine?« Cavendish
bricht das Rollenspiel wieder ab, empört. »Mylord Kardinal würde ihrer beider
Abkunft nach allen Regeln der Heroldskunst vor ihm ausbreiten.«
»Was soll ich denn tun?«
»Tun Sie einfach so als ob! Als
o: Ihre Vorfahren sind nicht ohne Verdienst, führt der junge Percy ins Feld.
Aber je stärker der Junge streitet, desto wütender wird Mylord Kardinal. Der
Junge sagt, wir haben gelobt, die Ehe eingehen zu wollen, was so gut wie eine
richtige Ehe ist...«
»Sagt er das? Ich meine, hat
er das gesagt?«
»Ja, jedenfalls sinngemäß. So
gut wie eine richtige Ehe.«
»Und was hat Mylord Kardinal
dann getan?«
»Er sagte: Guter Gott, Junge,
was reden Sie da? Wenn Sie einen solchen Irrweg eingeschlagen haben, muss der
König davon erfahren. Ich schicke nach Ihrem Vater, und gemeinsam wird es uns
gelingen, diese Torheit zu annullieren.«
»Und Harry Percy sagte?«
»Nicht viel. Er ließ den Kopf
hängen.«
»Ich frage mich, ob das
Mädchen überhaupt Achtung vor ihm hatte.«
»Hatte sie nicht. Sie mochte
seinen Titel.«
»Verstehe.«
»Sodann kam sein Vater aus dem
Norden — wollen Sie der Earl sein oder der Junge?«
»Der Junge. Jetzt weiß ich,
wie es geht.«
Er springt auf die Füße und
spielt den Reumütigen. Offenbar nahmen sie sich Zeit für ein langes Gespräch
in einer langen Galerie, der Earl und der Kardinal, und dann tranken sie ein
Glas Wein miteinander.
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