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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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Kardinal nickt, er erkennt
die Schwierigkeit an.
    »Aber es ist nicht die Dame
Boleyn, die neu bei Hofe ist. Nicht Harry Percys Dame. Es ist ihre Schwester.«
    »Verstehe.« Der Kardinal lehnt
sich zurück. »Natürlich.«
    Mary Boleyn ist eine
freundliche kleine Blondine, die angeblich am gesamten französischen Hof
herumgereicht wurde, bevor sie an den englischen Hof heimkehrte, wo sie in
alle Richtungen guten Willen verströmt und ihre kleine Schwester ihr beständig
stirnrunzelnd hinterhertrabt.
    »Natürlich habe ich bemerkt,
wohin der Blick Seiner Majestät ging«, sagt der Kardinal. Er nickt sich selbst
zu. »Und jetzt stehen sie sich nahe? Weiß es die Königin? Oder können Sie das
nicht sagen?«
    Er nickt. Der Kardinal seufzt.
»Katherine ist eine Heilige. Wäre ich jedoch eine Heilige und Königin, würde
ich vielleicht denken, Mary Boleyn könne mir nicht schaden. Geschenke, wie?
Welcher Art? Nicht üppig, sagen Sie? Dann tut sie mir leid; sie sollte ihren
Vorteil nutzen, solange er besteht. Unser König hat nicht übermäßig viele
Abenteuer, obwohl gesagt wird ... man sagt, als Seine Majestät jung war und
noch nicht König, sei es Boleyns Frau gewesen, die ihn von seiner Jungfräulichkeit
befreite.«
    »Elizabeth Boleyn?« Er ist
nicht oft überrascht. »Die Mutter der betreffenden Dame?«
    »Dieselbe. Vielleicht mangelt
es dem König in dieser Hinsicht an Fantasie. Nicht dass ich es je geglaubt
hätte ... Wenn wir auf der anderen Seite wären, wissen Sie«, er zeigt in
Richtung Dover, »würden wir nicht einmal versuchen, die Frauen zu zählen. Mein
Freund König Francois - die Leute behaupten, dass er sich eines Tages an die
Dame herangemacht hat, mit der er die Nacht zuvor verbracht hatte; dass er ihr
einen galanten Handkuss gab, nach ihrem Namen fragte und wünschte, sie würden
sich näher kennenlernen.« Er nickt, zufrieden, dass seine Geschichte ankommt.
»Aber Mary wird keine Schwierigkeiten machen. Sie liegt leicht im Arm. Der
König hätte es schlechter treffen können.«
    »Ihre Familie wird allerdings
etwas rausschlagen wollen. Was haben sie beim ersten Mal bekommen?«
    »Die Chance, sich nützlich zu
machen.« Wolsey bricht ab und macht sich eine Notiz. Er kann sich den Inhalt
vorstellen: Was Boleyn haben kann, wenn er nett darum bittet. Der Kardinal
sieht auf. »Hätte ich also bei meiner Unterredung mit Sir Thomas - wie soll ich
mich ausdrücken? - eine größere douceur an den Tag legen sollen?«
    »Ich glaube nicht, dass Mylord
liebenswürdiger hätte sein können. Bedenken Sie sein Gesicht, als er uns
verließ. Ein Abbild erfüllter Genugtuung.«
    »Thomas, von jetzt an, aller
Klatsch aus London«, er streicht über den Damast, »tragen Sie ihn direkt zu
mir. Sorgen Sie sich nicht um die Quelle. Das soll meine Sorge sein. Und ich
verspreche, Sie nie anzugreifen. Aufrichtig.«
    »Es ist vergessen.«
    »Das bezweifle ich. Nicht,
wenn Sie diese Erfahrung all die Jahre mit sich herumgetragen haben.« Der
Kardinal setzt sich zurück; er überlegt. »Wenigstens ist sie verheiratet.« Mary
Boleyn, meint er. »Das heißt, wenn sie wirft, kann er es anerkennen oder nicht,
wie es ihm beliebt. Er hat einen Jungen von John Blounts Tochter, und er wird
nicht zu viele haben wollen.«
    Ein allzu großes königliches
Kinderzimmer kann dem Monarchen hinderlich sein. Die Geschichte und das
Beispiel anderer Nationen zeigen, dass die Mütter um den Status ihrer Bälger
kämpfen und alles versuchen, damit sie irgendwie in die Erbfolge aufgenommen
werden. Der Sohn, den Henry anerkennt, ist als Henry Fitzroy bekannt; er ist
ein hübsches blondes Kind, ganz der König. Sein Vater hat ihn zum Herzog von
Somerset und Herzog von Richmond ernannt; er ist kaum zehn Jahre alt und schon
der wichtigste Adlige in England.
    Königin Katherine, deren Söhne
alle gestorben sind, nimmt es mit Geduld. Soll heißen: Sie leidet.
     
    Als  er den Kardinal verlässt,
hat ihn eine elende Wut gepackt. Wenn er an sein früheres Leben denkt - an
diesen Jungen, der halbtot auf den Kopfsteinen in Putney liegt -, empfindet er
keine Zärtlichkeit für ihn, nur eine leichte Ungeduld: Warum steht er nicht
auf? Für sein späteres Ich - das immer noch dazu neigte, sich zu prügeln oder
zumindest an Ort und Stelle zu sein, wenn alles auf eine Prügelei hindeutete
- empfindet er so etwas wie Verachtung, durchsetzt mit einer unterschwelligen
Angst. So war die Welt damals: ein Messer im Dunkeln, eine Bewegung am Rande
des Blickfelds, eine

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