Mantel, Hilary
Etwas Starkes, anders kann es nicht gewesen sein. Der
Earl stapfte die ganze Galerie hinunter, dann setzte er sich, sagt Cavendish,
auf eine Bank, auf der sich die Kammerdiener immer ausruhten, wenn sie nichts
zu tun hatten. Er rief seinen Erben, der sich vor ihn hinstellen musste, und
dann nahm er ihn vor allen Bediensteten auseinander.
»>Sir<«, sagt Cavendish,
»>Ihr seid immer ein hochmütiger, unverschämter, herablassender und sehr
verschwenderischer Taugenichts gewesen.< Das war ein guter Anfang, nicht?«
»Mir gefällt«, sagt er, »wie
Sie sich an die genaue Wortwahl erinnern. Haben Sie es damals aufgeschrieben?
Oder nehmen Sie sich Freiheiten?«
Cavendish schaut verschmitzt
drein. »Niemand übertrifft Ihr Vermögen, sich Dinge zu merken«, sagt er.
»Mylord Kardinal bittet um die Buchführung in der einen oder anderen Sache, und
Sie haben alle Zahlen sofort parat.«
»Vielleicht erfinde ich sie.«
»Ach, das glaube ich nicht.«
Cavendish ist schockiert. »Damit kämen Sie nicht lange durch.«
»Es ist eine Methode, sich
etwas zu merken. Ich habe sie in Italien gelernt.«
»Es gibt Leute, in diesem
Haushalt und anderswo, die viel darum geben würden zu erfahren, was Sie so
alles in Italien gelernt haben.«
Er nickt. Natürlich würden sie
das. »Aber jetzt, wo waren wir? Harry Percy, der mit Lady Anne Boleyn so gut
wie verheiratet ist, sagen Sie, steht vor seinem Vater, und der Vater sagt...
?«
»Dass er der Tod seines edlen
Hauses wäre, wenn er den Titel erbt - er wäre der allerletzte Earl von
Northumberland. >Gelobt sei Gott<, sagte er, >dass ich noch mehr
Jungen habe .. .< Und stapfte davon. Der Junge blieb weinend zurück. Er
hatte sein Herz an Lady Anne verloren. Aber der Kardinal verheiratete ihn mit
Mary Talbot, und jetzt sind sie so unglücklich wie die Morgendämmerung am
Aschermittwoch. Und Lady Anne sagte - wir haben seinerzeit alle herzlich
darüber gelacht -, sie sagte, wenn sie Mylord Kardinal irgendeine
Unannehmlichkeit bereiten könnte, würde sie es tun. Können Sie sich vorstellen,
wie wir gelacht haben? So ein blasses junges Ding und, vergeben Sie mir, die
Tochter eines Ritters, stößt Drohungen gegen Mylord Kardinal aus! Fühlte sich
vor den Kopf gestoßen, weil sie keinen Earl haben konnte! Wir konnten ja nicht
wissen, dass sie immer höher aufsteigen würde.«
Er lächelt.
»Wissen Sie«, sagt Cavendish,
»was wir falsch gemacht haben? Ich sage es Ihnen. Die ganze Zeit wurden wir in
die Irre geführt, der Kardinal, der junge Harry Percy, sein Vater, Sie, ich -
denn als der König sagte, Mistress Anne solle nicht nach Northumberland
verheiratet werden, ich glaube, der König hatte bereits ein Auge auf sie
geworfen, schon vor so langer Zeit.«
»Als er mit Mary zusammen war,
dachte er an ihre Schwester Anne?«
»Ja, ja!«
»Ich frage mich«, sagt er,
»wie es sein kann, dass zwar alle Leute glauben, die Wünsche des Königs zu
kennen, der König sich aber ständig eingeschränkt fühlt.« Jeder seiner Pläne
wird durchkreuzt: Er wird maßlos geärgert, behindert. Lady Anne, die er
ausgesucht hat, um ihn zu unterhalten, während er sich der ersten Gattin
entledigt und die neue Gattin im Anmarsch ist, weigert sich, ihm auch nur im
Geringsten entgegenzukommen. Wie kann sie sich weigern? Keiner weiß es.
Cavendish wirkt deprimiert,
weil sie das Stück nicht fortgesetzt haben. »Sie müssen müde sein«, sagt er.
»Nein, ich denke nur nach. Wie
konnte es passieren, dass Mylord Kardinal...« Nicht in die Trickkiste gegriffen
hat, will er sagen. Aber es gehört sich nicht, so von einem Kardinal zu
sprechen. Er sieht auf. »Machen Sie weiter. Was ist dann passiert?«
Im Mai 1527 fühlt sich der
Kardinal bedrängt, ist schlechter Laune und beruft in York Place ein
Untersuchungsgericht ein, das die Gültigkeit der königlichen Ehe überprüfen
soll. Es ist ein geheimes Gericht; es ist nicht notwendig, dass die Königin
erscheint oder auch nur vertreten wird; sie soll nicht einmal davon wissen,
auch wenn ganz Europa im Bilde ist. Es ist Henry, dem befohlen wird, zu
erscheinen und die Dispens vorzulegen, die es ihm erlaubt hat, die Witwe
seines Bruders zu heiraten. Er kommt dem nach und ist davon überzeugt, dass das
Gericht das Dokument in irgendeiner Hinsicht für fehlerhaft befinden wird.
Wolsey ist bereit zu sagen, dass die Ehe angezweifelt werden kann. Aber er weiß
nicht, sagt er zu Henry, was das Gericht, das er in seiner Eigenschaft als
päpstlicher Legat einberufen
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