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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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hat, über diesen einleitenden Schritt hinaus für
den König tun kann, da Katherine gewiss in Rom Berufung einlegen wird.
    Sechsmal (soweit die Welt
weiß) lebten Katherine und der König in der Hoffnung auf einen Erben. »Ich
erinnere mich an das Winterkind«, sagt Wolsey. »Ich vermute, dass Sie damals
noch nicht nach England zurückgekehrt waren, Thomas. Die Königin befielen
unerwartet Schmerzen, und der Prinz wurde zu früh geboren, genau um die Jahreswende.
Er war noch keine Stunde alt, da hielt ich ihn in meinen Armen; draußen vor
den Fenstern fiel der Eisregen, der Raum war erfüllt vom Schein des Feuers, um
drei Uhr brach die Dunkelheit herein, und in jener Nacht wurden die Spuren von
Vögeln und Tieren mit Schnee überdeckt, jedes Zeichen der alten Welt wurde
ausgelöscht und all unser Schmerz aufgehoben. Wir nannten ihn den
Neujahrsprinzen. Wir sagten, er würde der Reichste, der Schönste, der Treueste
sein. Ganz London war hell erleuchtet und feierte ... Er atmete zweiundfünfzig
Tage, und ich zählte jeden einzelnen. Ich glaube, wenn er überlebt hätte, wäre
unser König vielleicht - ich sage nicht ein besserer König, denn das ist kaum
möglich -, aber ein zufriedenerer Christ geworden.«
    Das nächste Kind war ein
Junge, der innerhalb von einer Stunde starb. Im Jahre 1516 wurde eine Tochter
geboren, Prinzessin Mary, klein, aber kräftig. Im folgenden Jahr hatte die
Königin eine Fehlgeburt, ein Junge. Eine weitere kleine Prinzessin lebte nur
ein paar Tage; sie wäre Elizabeth genannt worden, nach der Mutter des Königs.
    Manchmal, sagt der Kardinal,
spricht der König von seiner Mutter, Elizabeth Plantagenet, und hat dabei
Tränen in den Augen. Sie war von großer Schönheit und Gelassenheit, wissen Sie,
so sanftmütig trotz des vielfachen Unglücks, das Gott ihr geschickt hat. Sie
und der alte König waren mit vielen Kindern gesegnet, und einige von ihnen starben.
Aber, sagt der König, mein Bruder Arthur wurde meinen Eltern im ersten Ehejahr
geboren, und nach nicht allzu langer Zeit folgte ein weiterer stattlicher Sohn,
das war ich. Weshalb stehe ich nach zwanzig Jahren mit einer einzigen
schwächlichen Tochter da, die jeder daherkommende Wind auslöschen kann?
    Inzwischen werden die beiden,
dieses lang verheiratete Ehepaar, von dem verwirrenden Bewusstsein der Sünde
zermürbt. Vielleicht, sagen manche Leute, wäre es nur freundlich, sie aus
diesem Zustand zu entlassen? »Ich bezweifle, dass Katherine so denken wird«,
sagt der Kardinal. »Wenn die Königin eine Sünde auf dem Gewissen hat, wird sie
sich in der Beichte davon lossprechen lassen. Und wenn es dazu die nächsten
zwanzig Jahre braucht.«
    Was habe ich getan?, verlangt
Henry vom Kardinal zu wissen. Was habe ich getan, was hat sie getan, was haben
wir gemeinsam getan? Es gibt keine Antwort, die der Kardinal darauf geben kann,
auch wenn sein Herz für seinen allergütigsten Fürsten blutet; es gibt keine Antwort,
die er geben kann, und er bemerkt etwas an der Frage, das nicht ganz ehrlich
ist; er denkt - obwohl er es nicht ausspricht, außer wenn er mit seinem Mann
für die Geschäfte allein in einem kleinen Raum ist -, dass kein vernünftiger
Mann einen Gott anbeten kann, der schlicht so rachsüchtig ist, und er glaubt,
dass der König ein vernünftiger Mann ist. »Betrachten Sie die Beispiele vor
uns«, sagt er. »Dekan Colet, dieser große Gelehrte. Er war eines von
zweiundzwanzig Kindern und das einzige, das die frühe Kindheit überlebt hat.
Manche würden meinen, um derart zermürbende Prüfungen auf sich herabzurufen,
müssen Sir Henry Colet und seine Frau Ungeheuer der Verderbtheit gewesen sein,
verrufen in der gesamten Christenheit. Aber tatsächlich war Sir Henry Bürgermeister
von London ...«
    »Zweimal.«
    »... und hat ein sehr großes
Vermögen erworben — insofern, würde ich sagen, wurde er vom Allmächtigen in
keiner Weise hintangesetzt, sondern hat vielmehr alle Beweise der göttlichen
Gunst erhalten.«
    Es ist nicht die Hand Gottes,
die unsere Kinder tötet. Es sind Krankheit und Hunger und Krieg, Rattenbisse
und schlechte Luft und die Ausdünstungen von Seuchengräbern; es sind schlechte
Ernten wie die Ernte in diesem Jahr und im letzten; es sind sorglose
Kindermädchen. Er sagt zu Wolsey: »Wie alt ist die Königin jetzt?«
    »Sie ist zweiundvierzig,
glaube ich.«
    »Und der König sagt, sie kann
keine Kinder mehr bekommen? Meine Mutter war zweiundfünfzig, als ich geboren
wurde.«
    Der Kardinal starrt ihn

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