Mantel, Hilary
»Macht
Marzipanlöwen — der Kardinal möchte sie haben.«
Sie rollen mit den Augen und
sagen: Hört es denn nie auf?
Seit seiner Rückkehr aus
Frankreich ist ihr Herr ganz gegen seine Gewohnheit schlechter Laune. Nicht nur
die offenen Misserfolge lassen ihn grollen, sondern auch die Schmutzkampagne
hinter den Kulissen. Satiren und Hetzblätter gegen ihn wurden in Umlauf
gebracht, und so schnell er sie auch aufkaufte, immer wieder tauchte ein neuer
Stoß auf den Straßen auf. Jeder Dieb in Frankreich schien es auf seinen Tross
abgesehen zu haben; obwohl er rund um die Uhr eine Wache für sein Gold
abgestellt hatte, geschah es in Compiegne, dass ein kleiner Junge die
Hintertreppe hinauf- und hinablief und Teile des Geschirrs an den großen Räuber
übergab, der ihn angelernt hatte.
»Was ist passiert? Haben Sie
ihn erwischt?«
»Der große Räuber wurde an den
Pranger gestellt. Der Junge lief weg. Dann schlich sich eines Nachts ein
Übeltäter in meine Kammer und brachte am Fenster einen geschnitzten Gegenstand
an ...« Und am nächsten Morgen kam durch Nebel und Regen ein früher
Sonnenstrahl gekrochen und schien auf einen Galgen, von dem ein Kardinalshut herabhing.
Wieder einmal ist der Sommer
verregnet gewesen. Er könnte schwören, dass es niemals hell war. Die Ernte wird
verdorben sein. Der König und der Kardinal tauschen Pillenrezepte aus. Der
König legt die Staatsgeschäfte nieder, wenn er zufällig niesen muss, und
verschreibt sich einen leichten Tag mit Musizieren oder Schlendern durch seine
Gärten - sofern der Regen nachlässt. Am Nachmittag ziehen er und Anne sich
manchmal allein zurück. Dem Klatsch zufolge erlaubt sie ihm, sie auszuziehen.
Abends hält guter Wein die Kälte fern, und Anne liest die Bibel; sie weist ihn
daraufhin, was die Schrift mit Nachdruck empfiehlt. Nach dem Abendessen wird er
nachdenklich und sagt, dass er vermute, der König von Frankreich lache ihn aus;
er vermute, auch der Kaiser lache ihn aus. Nach Einbruch der Dunkelheit ist
der König liebeskrank. Er ist melancholisch, manchmal unerreichbar. Er trinkt
viel und schläft tief, schläft allein; er wacht auf, und weil er ein starker
und immer noch junger Mann ist, ist er optimistisch, denkt klar und ist bereit
für den neuen Tag. Bei Tageslicht sieht sein Anliegen vielversprechend aus.
Der Kardinal hört nicht auf zu
arbeiten, wenn er krank ist. Er macht einfach an seinem Schreibtisch weiter,
niest und klagt, hat Schmerzen.
Im Nachhinein ist leicht zu
erkennen, wann der Niedergang des Kardinals begann, aber zu jener Zeit war es
nicht einfach. Im Rückblick erinnert er sich an die Ratlosigkeit jener Tage.
Wie auf See verschwand der Horizont schwindelerregend schnell, und die
Küstenlinie verlor sich im Dunst.
Der Oktober kommt; seine
Schwestern und Mercy und Johane nehmen die Kleider seiner toten Frau und
schneiden sie sorgfältig neu zu. Nichts wird verschwendet. Jedes gute Stück
Stoff wird zu etwas anderem.
Zu Weihnachten singt der Hof:
So
wie das Immergrün Die Farbe nicht verliert,
So
war ich stets und bin Treu allzeit meinem Lieb;
Grün
wächst das Immergrün, der Efeu tut's ihm nach,
Wenn
auch die Winterstürme bereiten Ungemach.
So
wie das Immergrün Grünt und der Efeu auch,
Wenn
keine Blumen blühn
Und
kahl sind Baum und Strauch.
Grün
wächst das Immergrün.
Frühling 1528: Thomas More schlendert heran,
freundlich, schäbig. »Genau der richtige Mann«, sagt er. »Thomas, Thomas
Cromwell. Genau der Mann, den ich sehen will.«
Er ist freundlich, immer
freundlich, sein Hemdkragen ist schmuddelig. »Fahren Sie dieses Jahr nach
Frankfurt, Master Cromwell? Nein? Ich dachte, der Kardinal würde Sie vielleicht
zur Messe schicken, damit Sie sich unter die ketzerischen Buchhändler mischen.
Er gibt eine Menge Geld aus, um ihre Schriften aufzukaufen, aber die Flut des
Unrats lässt niemals nach.«
In seinen Pamphleten gegen
Luther nennt More den Deutschen Scheiße. Er sagt, dass sein Mund der Anus der
Welt sei. Man würde nicht glauben, dass solche Worte von Thomas More stammen,
aber so ist es. Keiner hat die lateinische Sprache vulgärer gemacht.
»Das ist eigentlich nicht
meine Sache«, sagt Cromwell. »Die Bücher von Ketzern. Mit ausländischen Ketzern
befasst man sich im Ausland. Die Kirche ist universal.«
»Aber oh, sobald diese
Bibelleute nach Antwerpen gelangen, wissen Sie ... Was für eine Stadt das ist!
Kein Bischof, keine Universität, kein rechter Platz der Lehre, keine
ordentlichen
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