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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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zurück in den Saal. Der Kardinal bietet nun jedem seinen Harem
von vierzig Jungfrauen an, der ihm beim Aufsitzen hilft; er sitzt auf dem Boden
und lamentiert, als ein schlaffes, schlangenartiges, aus roter Wolle
gestricktes Glied aus seinen Gewändern plumpst.
    Draußen brennen schwache
Lichter in der eisigen Luft. »Nach Hause«, sagt er. Er hört Gregory flüstern:
»Wir dürfen bloß lachen, wenn er es erlaubt.«
    »Na ja«, hört er Rafe sagen,
»er hat schließlich auch das Sagen.«
    Er fällt einen Schritt zurück,
um mit ihnen zu sprechen. »Es war sowieso ein böser Borgia, Papst Alexander,
der sich vierzig Frauen hielt. Und keine von ihnen war Jungfrau, das kann ich
euch sagen.«
    Rafe berührt seine Schulter.
Links von ihm geht Richard, dicht neben ihm. »Ihr müsst mich nicht stützen«,
sagt er sanft. »Ich bin nicht der Kardinal.« Er bleibt stehen. Er lacht. Er
sagt: »Ich vermute, es war ...«
    »Ja, es war ganz
unterhaltsam«, sagt Richard. »Seine Gnaden muss fünf Fuß um die Taille gemessen
haben.«
    Es ist eine laute, lebhafte
Nacht: Knochenrasseln klappern, überall leuchten Fackeln. Eine Truppe von
Reitern auf Steckenpferden trappelt singend an ihnen vorüber, außerdem ein paar
Männer, die Geweihe am Kopf und Glocken an den Fersen tragen. Als  sie sich
ihrem Zuhause nähern, rollt ein als Orange verkleideter Junge vorbei,
begleitet von seinem Freund, einer Zitrone. »Gregory Cromwell!«, rufen sie
aus, und vor ihm selbst als Erwachsenem heben sie anstelle von Hüten höflich
ein Stück Schale vom Kopf. »Gott gebe Ihnen ein gutes neues Jahr.«
    »Euch auch«, ruft er. Und zu
der Zitrone: »Sag deinem Vater, er soll wegen des Mietvertrags an der Cheapside
zu mir kommen.«
    Sie kommen zu Hause an. »Geht
zu Bett«, sagt er. »Es ist spät.« Und er fügt lieber noch hinzu: »Gott behüte
euch bis zum Morgen.«
    Sie lassen ihn allein. Er
sitzt an seinem Arbeitstisch. Er erinnert sich an Grace am Ende ihres Abends
als Engel: Sie stand im Feuerschein, ihr Gesicht war weiß vor Müdigkeit, ihre
Augen glitzerten, und im Schein des Feuers leuchteten die Augen ihrer
Pfauenflügel, jedes einzelne, wie ein Topas: golden, rauchig. Liz sagte: »Geh
vom Feuer weg, Schatz, damit deine Flügel kein Feuer fangen.« Sein kleines
Mädchen trat zurück in den Schatten; die Federn hatten die Farbe von Asche und
Zinder, als sie auf die Treppe zuging, und er sagte: »Grace, gehst du mit
deinen Flügeln ins Bett?«
    »Nur, bis ich gebetet habe«,
sagte sie und warf einen Blick über die Schulter. Er ging ihr nach, hatte Angst
um sie, hatte Angst vor Feuer und einer anderen Gefahr, aber er wusste nicht,
welcher. Sie stieg die Treppe hinauf, ihre Flügel raschelten, ihre Federn
erloschen.
    Jesus, denkt er, wenigstens
muss ich sie nie an jemanden abgeben. Sie ist tot, und ich werde sie keinem
unbedeutenden, spitzmündigen Gentleman überlassen müssen, der nur ihre Mitgift
will. Grace hätte einen Titel gewollt. Weil sie schön war, hätte sie gemeint,
ich müsse ihr einen kaufen: Lady Grace. Ich wünschte, meine Tochter Anne wäre
hier, denkt er, ich wünschte, Anne wäre hier und Rafe Sadler versprochen. Wenn
Anne älter wäre. Wenn Rafe jünger wäre. Wenn Anne noch am Leben wäre.
    Er beugt den Kopf wieder über
die Briefe des Kardinals. Wolsey schreibt an die Herrscher Europas, bittet sie,
ihn zu unterstützen, ihn zu verteidigen, seine Sache auszufechten. Er, Thomas
Cromwell, wünschte, der Kardinal würde das nicht tun oder seine Briefe
wenigstens raffinierter verschlüsseln, wenn er sie denn schreiben muss. Ist es
Verrat, wenn Wolsey sie drängt, die Absichten des Königs zu durchkreuzen? Henry
würde es dafür halten. Der Kardinal bittet sie nicht, um seinetwillen Krieg
gegen Henry zu führen: Er bittet sie lediglich, einem König ihr Wohlwollen zu
entziehen, der es sehr schätzt, wenn man ihn gern hat.
    Er lehnt sich auf seinem Stuhl
zurück, legt die Hände auf den Mund, als wolle er seine Meinung vor sich selbst
verbergen. Er denkt, ich bin froh, dass ich Mylord Kardinal liebe, denn wenn
ich das nicht täte und sein Feind wäre - sagen wir mal, ich bin Suffolk, sagen
wir mal, ich bin Norfolk, sagen wir mal, ich bin der König-, würde ich ihn
nächste Woche vor Gericht stellen.
    Die Tür öffnet sich. »Richard?
Du kannst nicht schlafen? Ach, das wusste ich. Das Stück war zu aufregend für
dich.«
    Jetzt ist es einfach zu
lächeln, aber Richard lächelt nicht; sein Gesicht ist im Schatten. Er

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