Mantel, Hilary
ihr Wap pen aufgenäht werden kann,
ganz zu schweigen von den Wandbehängen, den Tischservietten ...«
»Und wie geht es Ihnen?«
Sie sieht nach unten, ihr
Blick wendet sich ab. »Angespannt. Etwas zermürbt, könnte man sagen.
Weihnachten war ...«
»Sie haben sich gestritten. So
hört man.«
»Erst hat er mit Katherine
gestritten. Dann kam er hierher, um bemitleidet zu werden. Anne sagte:
>Was? Ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht mit Katherine streiten, du
weißt, dass du immer verlierst.< Wenn er kein König wäre«, sagt sie
genüsslich, »könnte man ihn bedauern. Wegen des Hundelebens, das beide ihm
bereiten.«
»Es hat Gerüchte gegeben, dass Anne ...«
»Ja, aber sie ist es nicht.
Ich wäre die Erste, die es wüsste. Wenn sie nur einen Zoll zulegen würde, wäre
ich es, die ihre Kleider weiter machen würde. Außerdem kann sie es gar nicht
sein, weil da nichts war. Sie haben es nicht getan.«
»Sie würde es Ihnen erzählen?«
»Natürlich - aus reiner
Bosheit!« Immer noch sieht Mary ihm nicht in die Augen. Aber sie scheint das
Gefühl zu haben, dass sie ihm Informationen schuldet. »Wenn sie allein sind,
darf er ihr Mieder öffnen.«
»Wenigstens schickt er nicht nach Ihnen, damit Sie es
tun.«
»Er zieht ihr das Hemd nach unten und küsst ihre
Brüste.«
»Guter Mann, wenn er sie finden kann.«
Mary lacht; ein übermütiges,
nicht gerade schwesterliches Lachen. Sie müssen es drinnen gehört haben, denn
beinahe sofort öffnet sich die Tür, und das kleine, zuvor verborgene Mädchen
schiebt sich heraus. Ihr Gesicht ist ernst, ihre Zurückhaltung vollkommen; ihre
Haut ist so zart, dass sie fast durchsichtig ist. »Lady Carey«, sagt sie. »Lady
Anne verlangt nach Ihnen.«
Sie spricht die Namen aus, als
würde sie zwei Küchenschaben miteinander bekannt machen.
»Oh, bei allen Heiligen!«,
schnappt Mary und macht auf dem Absatz kehrt; dabei nimmt sie ihre Schleppe mit
einer Leichtigkeit mit, die nur auf lange Übung zurückzuführen ist.
Zu seiner Verwunderung fängt
das kleine blasse Mädchen seinen Blick auf; hinter dem Rücken Mary Boleyns
verdreht sie ihre Augen himmelwärts.
Beim Fortgehen - durch acht
Vorzimmer zurück zum Rest seines Tages - weiß er, dass Anne sich dorthin
gestellt hat, wo er sie sehen kann, wo das Morgenlicht auf der Rundung ihres
Halses liegt. Er sieht den dünnen Bogen ihrer Augenbraue, ihr Lächeln, er
sieht, wie ihr Kopf sich auf ihrem langen schlanken Hals wendet. Er sieht ihre
Schnelligkeit, ihre Intelligenz und Härte. Er hat nicht daran geglaubt, dass
sie dem Kardinal helfen würde, aber was kann es schaden, darum zu bitten? Er
denkt, es ist der erste Vorschlag, den ich ihr gemacht habe, und vermutlich
nicht der letzte.
Es gab einen Moment, in dem
Anne ihm all ihre Aufmerksamkeit geschenkt hat: ihren stechenden schwarzen
Blick. Auch der König weiß zu schauen, aus blauen Augen, deren Milde trügerisch
ist. Sehen die beiden einander so an? Oder auf eine andere Weise? Eine Sekunde
lang begreift er es, dann wieder nicht. Er steht an einem Fenster. Ein Schwarm
Stare lässt sich zwischen den festen schwarzen Knospen eines kahlen Baumes
nieder. Dann breiten sie ihre Flügel aus, und es scheint, als brächen die
schwarzen Knospen auf; sie flattern und singen, bringen alles in Bewegung,
Luft, Flügel, schwarze Musiknoten. Er merkt, dass er sie mit Freude beobachtet:
dass etwas fast Erloschenes bereit ist, den Frühling willkommen zu heißen;
eine kleine Verbeugung vor der Zukunft; auf eine bescheidene, verzweifelte
Weise freut er sich auf Ostern, auf das Ende der Fastenzeit, das Ende der Buße.
Es gibt eine Welt jenseits dieser schwarzen Welt. Es gibt eine Welt des
Möglichen. Eine Welt, in der Anne Königin sein kann, ist eine Welt, in der
Cromwell Cromwell sein kann. Er sieht diese Welt, dann wieder nicht. Der Moment
ist flüchtig.
Aber eine Einsicht kann nicht
zurückgenommen werden. Man kann nicht zu dem Moment zurückkehren, in dem man
vorher war.
In der Fastenzeit gibt es
Metzger, die einem rotes Fleisch verkaufen; man muss nur wissen, wohin man
gehen muss. In Austin Friars geht er nach unten, um mit dem Küchenpersonal zu
reden, und sagt zu seinem Chefkoch: »Der Kardinal ist krank, er ist vom Fasten
entbunden.«
Sein Koch nimmt die Mütze ab.
»Vom Papst?«
»Von mir.« Sein Blick gleitet
über die Reihe von aufgehängten Messern und Hackbeilen zum Knochenspalten. Er
nimmt eines davon in die Hand und betrachtet die Schneide, stellt fest,
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