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Mantel, Hilary

Mantel, Hilary

Titel: Mantel, Hilary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woelffe
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seiner
Rechten der neue Botschafter. Da: Humphrey Monmouth, der Ketzer. Da: Antonio
Bonvisi. Hier: Thomas Cromwell. Und auch für Geister gibt es gedeckte Plätze:
für den Herzog von Suffolk, nüchtern und groß, für Norfolk, der seine geweihten
Anhänger klimpern lässt und ruft: »Bei allen Heiligen!« Ein Platz ist für den
König gedeckt, und einer für die tapfere kleine Königin, die in dieser Zeit
der Buße so ausgehungert ist, dass ihr Magen in der festen Rüstung ihrer
Gewänder grummelt. Es ist ein Platz für Lady Anne gedeckt, die mit ihren
rastlosen schwarzen Augen in die Runde blickt, die nichts isst, der nichts
entgeht, die an den Perlen um ihrem kleinen Hals zieht. Es gibt einen Platz für
William Tyndale und einen für den Papst; Clemens blickt auf die kandierten
Quitten, die nicht fein genug geschnitten sind, und kräuselt seine
Medici-Oberlippe. Und dort sitzt Bruder Martin Luther, schmierig und fett: Er
sieht sie alle zornig an und spuckt Fischgräten aus.
    Ein Diener kommt herein. »Zwei
junge Männer sind draußen, Master, und haben nach Ihnen gefragt.«
    Er sieht auf. »Ja?«
    »Master Richard Cromwell und
Master Rafe, mit Dienern aus Ihrem Haushalt. Sie warten darauf, Sie nach Hause
zu begleiten.«
    Ihm wird klar, dass der ganze
Abend dazu gedient hat, ihn zu warnen: ihn abzuschrecken. Er wird sich an sie
erinnern, an diese verhängnisvolle Anordnung: wenn sie sich als verhängnisvoll erweist. Das leise
Knirschen und Raunen von Stein, der sich langsam selbst zerstört; das ferne
Geräusch von einstürzenden Wänden, von zerbröckelndem Putz, von Trümmern, die
auf fragile menschliche Schädel fallen? Es ist das Dach der Christenheit, das
diese Geräusche macht. Es stürzt auf die Menschen.
    Bonvisi sagt: »Sie haben eine
Privatarmee, Tommaso. Ich nehme an, Sie brauchen Rückendeckung.«
    »Sie wissen, dass es so ist.«
Seine Augen schweifen durch den Raum: ein letzter Blick. »Gute Nacht. Es war
ein gutes Essen. Ich mochte die Aale. Schicken Sie Ihren Koch mal bei meinem
vorbei? Ich habe eine neue Soße, die die Fastenzeit etwas aufheitert. Man
braucht Muskatblüten und Ingwer, etwas gehackte getrocknete Minze ...«
    Sein Freund sagt: »Ich bitte
Sie. Ich flehe Sie an, vorsichtig zu sein.«
    «... ein wenig, aber nur sehr
wenig Knoblauch ...«
    »Bei wem Sie das nächste Mal
auch speisen, ich bitte Sie, sich nicht...«
    «... und Semmelbrösel, aber
nur eine Handvoll...«
    »... zu den Boleyns zu
setzen.«
     
    Überaus geliebter Cromwell
    Frühling — Dezember 1530
     
    Er trifft früh in York Place
ein. Die gefangenen Möwen im Gehege rufen nach ihren freien Geschwistern auf
dem Fluss, die kreischend über den Palastmauern kreisen und immer wieder
hinabstoßen. Die Kärrner schieben eingetroffene Waren vom Fluss herauf, und die
Höfe riechen nach frisch gebackenem Brot. Ein paar Kinder bringen Bündel mit
frischen Binsen und grüßen ihn mit seinem Namen. Für ihre Höflichkeit gibt er
jedem von ihnen eine Münze, und sie bleiben stehen, um mit ihm zu sprechen.
»Ach so, Sie gehen zu der bösen Dame. Sie hat den König verhext, wissen Sie
das? Haben Sie einen Anhänger oder eine Reliquie, Master, die Sie schützt?«
    »Ich hatte mal einen Anhänger.
Aber ich habe ihn verloren.«
    »Sie sollten unseren Kardinal
fragen«, sagt eines der Kinder. »Er wird Ihnen einen neuen geben.«
    Die Binsen riechen frisch und
grün; der Morgen ist schön. Die Räume in York Place sind ihm vertraut; als er
sie auf dem Weg zu den inneren Gemächern durchquert, sieht er ein halb
vertrautes Gesicht und sagt: »Mark?«
    Der Junge löst sich von der
Wand, an der er lehnt.
    »Du bist früh auf. Wie geht es
dir?«
    Ein mürrisches Schulterzucken.
    »Es muss merkwürdig sein,
wieder in York Place zu sein, nachdem sich die Welt so verändert hat.«
    »Nein.«
    »Du vermisst Mylord Kardinal
nicht?«
    »Nein.«
    »Bist du glücklich hier?«
    »Ja.«
    »Das wird Mylord gerne hören.«
Zu sich selbst sagt er im Weitergehen: Du denkst vielleicht nie an uns, Mark,
aber wir denken an dich. Ich zumindest, ich denke daran, wie du mich einen
Verbrecher genannt und meinen Tod vorausgesagt hast. Es stimmt, was der
Kardinal immer sagt - es gibt keine sicheren Orte, es gibt keine verschlossenen
Räume, man kann ebenso gut auf der Cheapside stehen und seine Sünden herausschreien,
als sie irgendwo in England einem Priester zu beichten. Aber als ich mit dem
Kardinal über das Töten gesprochen habe, als ich einen Schatten an der

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