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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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Sonnenscheinkinder wie Claudia handelt. Bei tief gestörten, mit Traumata behafteten Persönlichkeiten reicht manchmal ein Foto in der Zeitung, eine kurze Meldung, um alte Wunden wieder aufzureißen. Sie werden den Gedanken an das tote Kind nicht mehr los, sie schlafen nicht mehr, sie essen nicht mehr, finden keine Ruhe. Sie trauern um Claudia, als sei es ihr eigenes Kind gewesen. Dabei haben sie das Kind nie kennengelernt.“
    „Er wusste aber von der blauen Kerze“, warf Chris ein.
    „Ja, natürlich. Es wird so sein, wie Sie vermutet haben: Jemand hat geplaudert, und diese Information ist auf Umwegen bei ihm gelandet. Ebenso wie die Mutter findet er es unerträglich, dass Claudia da oben allein ist. Das wäre wieder die Initialzündung. Im Gegensatz zur Mutter handelt er jedoch. Der Tötungsakt hat für ihn rein symbolischen Charakter, und die Kerze dient als Code, als Schlüssel zum Himmel.“
    Chris bekam eine trockene Kehle. Da war was! Ausgelöst durch die letzten Sätze der alten Frau. Eine flüchtige Erinnerung, die sich im Nichts verlor.
    Grete beugte sich vor und sagte eindringlich: „Ich behaupte nicht, dass es ein völlig Fremder gewesen sein muss. Aber Sie sollten diese Möglichkeit in Betracht ziehen.“
    „Wenn das stimmt …“ Chris wagte nicht, den Satz zu Ende zu sprechen.
    Die Professorin übernahm das für ihn, und ihre Stimme zitterte leicht: „Wenn das stimmt, kommt der nächste Freitag viel zu früh, ich weiß.“
     
    Wie betäubt blieb Chris an der Tür stehen, als Grete sich verabschiedet hatte. Es könnte sogar sein, dass er ihr nie begegnet ist, summten die Worte der Alten durch seinen Kopf. Nie, niemals würde die Zeit reichen, ihn zu finden.
    „Haben Sie was, Chef?“ Aus weiter Ferne nahm er die Stimme der Nixe wahr, unfähig, zu reagieren.
    „Chef?“
    „Wir sind am Ende, Nixchen“, murmelte er. „Absolut am Ende.“
    Mit hängenden Schultern schlich er in sein verqualmtes Zimmer zurück, schloss die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Mein Gott, es gab ungefähr dreihunderttausend erwachsene Männer in Köln und praktisch jeder könnte die Kinder auf dem Gewissen haben.
    Er seufzte auf, ging zum Telefon und führte ein nicht gerade erbauliches Gespräch mit Susanne.
    Danach wollte er sich mit einer Zigarette beruhigen. Aber die Packung und das Feuerzeug auf dem Besuchertisch waren … verschwunden.
    Er begann zu lachen, und die Tränen, die ihm dabei über die Wangen rollten, waren wie eine Befreiung. Endlich wurde ihm klar, dass er dringend etwas tun musste. Seine „Degradierung“ zum reinen Nachrichtenempfänger hatte ab sofort ein Ende.
    Er schnappte seinen Mantel von der Garderobe und stürmte durchs Vorzimmer.
    „Die Fahrerflucht um 16 Uhr!“, rief seine Mitarbeiterin.
    „Absagen!“
    Bevor die Tür hinter ihm zuschlug, hörte er noch den grässlichsten Fluch, den die Nixe je ausgestoßen hatte.
     
    ********
     
    Susanne knallte den Hörer auf und schnaubte.
    Wie so häufig fühlte sich Hellwein an einen feuerspeienden Drachen erinnert. „Was ist?“, fragte er vorsichtig und verschränkte die Arme auf drei übereinander gestapelten Ordnern.
    „Doktor Sprenger.“ Sie fuhr sich mit beiden Händen durch das ohnehin zerzauste Haar. „Wenn er Recht hat, verdammt …!“
    Mit zunehmend gerunzelter Stirn hörte sich Hellwein die Theorie der alten Psychologin an und platzte dann heraus: „Deshalb kommen wir also keinen Schritt weiter!“
    „Moment!“, bremste Susanne ihn. „Es ist eine Möglichkeit, mehr nicht.“
    „Schon. Aber wenn da was dran ist, sind wir bisher von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen. Wir haben Claudia als Mittelpunkt gesehen. Jetzt stell dir vor, er hat sie wirklich nicht gekannt, dafür aber Sonja und Annika. In deren Umfeld müssen wir jemanden finden, der für die Freitage kein Alibi hat.“
    Hellwein schien ganz begeistert von der Idee. Susanne beschloss jedoch, es vorsichtiger anzugehen. Sie konnte und wollte die Verantwortung für diese radikale Änderung des Ermittlungsansatzes nicht übernehmen. Also beschloss sie, erst mit Ketzer darüber zu reden und danach mit Breitner.
    Auf der Suche nach dem Psychologen kam sie an der geöffneten Bürotür von Petra Hansen vorbei und winkte kurz hinein. Die junge Kommissarin hatte den Telefonhörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt, redete lebhaft in die Muschel und winkte zurück.
    Dass Karin eine Frau in Betracht zog, hatte Susanne keine Ruhe gelassen. Alles in ihr

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