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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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beide reden, und die hören bloß zu, okay? Und wenn wir mit dir zufrieden sind, fahren Herta und ich dich zurück und spendieren dir unterwegs ´ne Wurst, in Ordnung?“
    Leitner warf Susanne einen auffordernden Blick zu. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm das Verhör zu überlassen. Sie nickte und zog einen Stuhl heran. Hoffentlich verstand der Kollege etwas von Vernehmungen.
    „Na, erzähl mal von dem Kind, Hardy“, fiel Leitner mit der Tür ins Haus.
    „Lag einfach da“, murmelte Hardy, und lauter: „Kann ich ´nen Kaffee haben?“
    „Wenn du schön redest, gibt´s auch Kaffee. Also: Es lag einfach da. Wo lag es?“
    „Gleich am Rhein. War scheißkalt, du. Da hinter Rodenkirchen. Schicke Gegend.“
    In Susannes Nacken stellten sich die Härchen auf. Hinter sich hörte sie Hellwein scharf die Luft einziehen.
    „Wie biste denn da hingekommen?“, fragte Leitner weiter.
    Hardy zuckte die Achseln und starrte auf den Tisch. „Keine Ahnung, Mann. Wenn´s kalt wird, setz ich mich inne Bahn oder auf´n Bus. Da, wo ich rauskomm, guck ich, ob ich was abstauben kann. Später fahr ich zurück zum Bahnhof. Is jedenfalls schön warm inner Bahn.“
    „Wann war das Hardy?“, wagte Susanne jetzt ihre erste Frage.
    Die roten Augen wanderten erst unsicher zu Leitner. Als der nickte, antwortete der Riese: „Weiß nich mehr. Is ´ne Weile her. Aber´s war schon duster, erinner ich mich. Hab mich nämlich in den scheißkleinen Straßen verlaufen. War auch noch in der falschen Richtung unterwegs. Bin direkt am Wasser gelandet.“
     
    Susanne drehte sich nicht um, als Hellwein ins Zimmer kam. Sie stand unbewegt am Fenster und starrte hinaus in die Dunkelheit. Die Hände zu Fäusten geballt, die Schultern verkrampft.
    „Hardys Stiefel passt zum Abdruck“, sagte Hellwein leise. „Und ich wette, seine Speichelprobe passt zum Apfel.“
    „Womit wir die komplette Ermittlung vor die Wand gefahren hätten … Gott, Heinz!“
    Hellwein legte seine Hände auf ihre knochigen Schultern. Es passierte selten, dass er sie berührte und noch seltener, dass sie es zuließ. Mit sanfter Gewalt drehte er sie zu sich herum. Sie blieb mit gesenktem Kopf stehen und dachte an Hardys weitere Aussage, nachdem er endlich seinen Kaffee bekommen hatte.
    Er war fluchend durch die Dunkelheit gestolpert, völlig orientierungslos, und irgendwo gelandet, wo es nicht einmal mehr Straßenbeleuchtung gab — der Auenwald am Weisser Bogen.
    Im fahlen Mondlicht sah er „´nen Beutel oder so.“ Ein Rucksack, wie er bei näherem Hinsehen feststellte. Aber seine Enttäuschung war groß, denn statt für ihn brauchbarer Sachen zog er ein Malbuch heraus. Immerhin fand er auch ein Käsebrot und einen Apfel.
    „Kohldampf hattich, ohne Ende.“ Also aß er erst das Brot, dann den Apfel. Während er noch den Apfel „mampfte“, entdeckte er ein paar Meter weiter einen unförmigen Haufen.
    „War´n Mantel oder Umhang oder so was. Hab mir den Stoff befühlt. Schwer. Gutes Zeuch. Dachte, damit käm ich durch ´en Winter. War vielleicht doch noch mein Glückstach, dacht ich.“
    Als er den Stoff jedoch hochhob, sah er das Kind darunter. „Sah aus, als ob´s schläft. Aber da war wat um sein Hals. War mausetot, richtich tot.“
    Hardy geriet in Panik, ließ Umhang Umhang sein, warf Apfel und Rucksack weg und rannte davon. Als er wieder auf Bahnschienen stieß, lief er so lange, bis er eine Haltestelle fand.
    Susanne ersparte sich jede weitere Frage. Natürlich hatte er nicht die Polizei verständigt. Leute wie er hatten Angst, man würde ihnen sofort etwas anhängen. Und höchstens im Suff redeten sie von dem Erlebnis — so wie Hardy.
    Hellwein hob mit dem Zeigefinger Susannes Kinn. „He.“
    Sie sah ihn an. In ihren dunklen Augen spiegelte sich Verzweiflung. „Glaubst du ihm?“
    Hellwein nickte.
    „Wir stehen bei null.“
    Wieder nickte er.
    „Morgen ist Freitag.“
    „Ich weiß.“ Hellwein spürte, wie sich in seinem Magen ein Klumpen aus Angst und Wut bildete. Angst vor einer weiteren Vermisstenmeldung, Wut auf den Täter, auf sich selbst.
    Oder eine Frau, hallten Karins Worte in Susanne wider … Oder eine Frau … Aber um diesen Ermittlungsansatz weiter zu verfolgen, war es zu spät. Es war für alles zu spät. Sie schüttelte Hellweins Hände ab und nahm ihre Wolljacke von der Garderobe.
    „Was hast du vor?“
    Ja, was hatte sie vor? Nichts eigentlich. Außer vielleicht sich in eine dunkle Ecke verkriechen und eine Runde heulen. Sich

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