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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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betrinken wäre auch gegangen.
    Sie sah Hellwein in die Augen. „Ich kapituliere, Heinz. Ich gebe auf!“
     

Freitag, 14. Dezember
     
    „Wo ist der rote Faden?“, murmelte Chris, mehr zu sich selbst, als zu den anderen. Es klang genauso mutlos und erschöpft, wie er sich fühlte. Er hatte nicht einmal die Kraft aufgebracht, ins Büro zu fahren. Auch Karin wollte auf keinen Fall ins Labor. Stattdessen wischte sie die Küchenschränke aus, einfach, um sich abzulenken. Dass Susanne vor einer halben Stunde hereingeschneit war, überraschte die beiden nicht wirklich. Karin machte schweigend Kaffee und verkniff sich die Frage nach einem zweiten Frühstück. Nach Susannes Bericht über Hardy hätte sowieso keiner einen Bissen heruntergebracht.
    „Es gibt keinen roten Faden, Chris!“ Die Kommissarin hieb mit der Faust auf den Küchentisch. Sie war heute früh regelrecht aus dem Präsidium geflohen. Allen hatte die Panik im Gesicht gestanden und jedes Klingeln des Telefons ließ die Kollegen zusammenzucken. Von den vorwurfsvoll-mitleidigen Blicken, mit denen sie jeder einzelne Beamte anzustarren schien, ganz zu schweigen.
    Um nicht durchzudrehen, murmelte sie etwas von „Muss was recherchieren“ und machte sich aus dem Staub. Sie recherchierte tatsächlich. Nämlich, dass weder Chris noch Karin an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz waren und sich in der Piusstraße aufhielten.
    „Wir haben keinen roten Faden, keinen blauen, keinen grünen“, wetterte sie jetzt weiter. „Wir haben gar nichts!“
    Sie rieb sich mit beiden Händen das Gesicht, bis es rot wurde. „Ich hab nur die Hoffnung, dass er heute keine Gelegenheit hat, wieder zuzuschlagen. Jeder vernünftige Mensch in der Stadt lässt freitags seine Tochter keine Sekunde mehr aus den Augen. Und nicht nur freitags. Letzte Woche haben sie in Junkersdorf beinahe einen Mann gelyncht, der einfach nur an einem Spielplatz stehengeblieben war und den Kindern zugeschaut hatte.“
    Chris verkniff sich die Bemerkung, dass es genügend Kinder gab, die nicht so wohlbehütet waren und ständig überwacht wurden. Wenn das der Strohhalm war, an den Susanne sich klammerte, um nicht durchzudrehen, wollte er ihr den keinesfalls nehmen. Betont unaufgeregt sagte er: „Es gibt einen roten Faden, Susanne. Wir sehen ihn nur nicht.“
    „Es gibt so viele Gemeinsamkeiten in den drei Fällen“, schaltete Karin sich ein, „da muss es doch ein Packende geben.“
    Sie sah kurz aus dem Fenster. Es war trübe draußen, gar nicht richtig hell geworden und ein eiskalter Ostwind jagte dunkle Wolken über den bleiernen Himmel. Sie rieb sich müde die Stirn, ehe sie vorschlug: „Wollen wir das nochmal durchgehen?“
    „Nein, verdammt!“, explodierte Susanne nun endgültig. „Dreißig Polizisten käuen seit Wochen nichts anderes wider. Und rausgekommen ist dabei null, niente!“
    „Hast du einen besseren Vorschlag?“ Karin schien völlig ungerührt.
    Schnaubend kramte Susanne Block und Lesebrille aus der Tasche. Sie schlug ihre Notizen jedoch nicht auf, sondern leierte herunter: „Alle drei waren blonde Lockenköpfe, intelligent, charmant. Kinder zum Klauen eben. Außer der Art ihres Todes gibt es keinerlei Berührungspunkte. Sie haben unterschiedliche Kindergärten besucht, deren Erzieherinnen sich untereinander nicht kennen und auch die jeweils anderen Kinder nicht. Sonja und Claudia sind auf verschiedene Schulen gegangen und hatten nie gemeinsame Lehrer, die vielleicht versetzt worden wären. Claudia war in einem Schwimmverein, Sonja und Annika nicht. Sonja hat im Kinderchor gesungen, weder Claudia noch Annika hatten dazu eine Verbindung. Die Seibolds machten jede Woche …“
    „Denk an die Idee von Grete Horn und lass Claudia einfach mal außen vor“, unterbrach Karin sie.
    „Karin!“ Der warnende Unterton in Susannes Stimme war nicht zu überhören. Karin verlangte etwas, was sie seit Tagen rauf und runter diskutierten, hin und her. Ein ausgelutschter Kaugummi, hart geworden und ohne Geschmack.
    Auch Chris war nicht klar, was das noch bringen sollte. Die Wiederholung der Wiederholung der Wiederholung von Fakten, die ins Nirwana führten. Aber Karin wartete. Aufreizend ruhig.
    Wütend schlug Susanne schließlich ihren Block auf. So heftig, dass das Deckblatt einriss. „Sie lagen am Wasser. Sie haben wahrscheinlich einen schönen Tag verbracht und gut gegessen.“ Mit jedem Wort steigerte sich ihre Aggressivität. „Sie waren gekämmt, betäubt, an einen Baum gebunden und mit

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