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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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an Dennis Kaschenbach und wischte sich mit einem zerknüllten Tempo den Schweiß von der Stirn.
    Klausen führte sie an einer mannshohen Blechwalze vorbei in einen kleinen, fensterlosen Nebenraum, der ihr als Büro diente. Der Schreibtisch war übersät mit Zetteln und kunstvollen Zeichnungen verschiedenster Schmuckstücke. Kartons mit Papieren standen herum und auf dem Boden lagen jede Menge aufgeschlagene Mappen.
    „Ich sortiere gerade alte Steuerbelege“, erklärte sie beinahe entschuldigend. „Ich gebe sie sauber sortiert an den Steuerberater und bekomme Chaos zurück. Alle paar Jahre meine ich, ich muss Ordnung schaffen.“ Mit einer Handbewegung umfasste sie den ganzen Raum und setzte leise hinzu: „Annika ist tot, und ich sortiere Unterlagen …“
    Sie zog zwei Schemel aus der Ecke neben der Tür und bedeutete den Polizisten, sich zu setzen.
    Susanne widerstrebte es zutiefst, Klausen noch einmal befragen zu müssen, sie in ihrer Trauer zu belästigen. Aber sie schob sich den Schemel zurecht und sagte nur: „Frau Klausen. Damit nicht noch ein Kind stirbt, brauchen wir Ihre Hilfe. Dringend!“
    Hellwein nahm den anderen Hocker und überließ seiner Vorgesetzten das Gespräch. Er saß einfach mit aufgeschlagenem Notizbuch da und tupfte sich hin und wieder die Stirn.
    Susanne erklärte Klausen das Nötigste, bevor sie mit ihr die Liste aller Kontaktpersonen ihrer Tochter durchging. Es war schwierig, kostete Zeit. Manchmal brach Klausen unvermittelt in Tränen aus, wenn ein Name fiel. Manchmal sagte sie: „Der hat erzkatholische Eltern. Der ist bestimmt nicht unehelich“, oder so etwas in der Art. Und viel öfter sagte sie: „Keine Ahnung.“
    Im Werkstattraum klingelte ein Telefon, aber Klausen kümmerte sich nicht darum. Sie dachte weiter über die Namen nach, versuchte, zu helfen.
    Hellwein bekam von all dem nicht viel mit. Er war mit seiner Angst beschäftigt, die ihm wie eine Faust im Magen saß und von Minute zu Minute größer wurde. Dennis Kaschenbach, acht Jahre. Mehrmals schaute er verstohlen auf die Uhr. In vier, höchstens fünf Stunden würde es keinen Dennis Kaschenbach mehr geben.
    Gedankenverloren sah er auf einen Stapel handgeschriebener Rechnungskopien, las die oberste kopfstehend, registrierte aber nicht, was er las. Es waren Linien und Zahlen und Namen, die ihn ein wenig von seiner Angst ablenkten. Ohne aufzusehen, versuchte er, sich auf das Gespräch zu konzentrieren.
    „Martin Müller, das ist der Bäcker.“ Susanne.
    „Weiß nicht.“ Klausen.
    Linien, Zahlen, Namen. Ganz langsam nur sickerte die Erinnerung in Hellweins Gehirn. Suchte sich ihren Weg, machte Schlenker, landete in Sackgassen. Blieb stecken und kam eine Weile nicht vom Fleck, ehe sie erneut an seinem Gedächtnis rüttelte.
    Als er endlich begriff, welchen Namen er da dauernd las, sprang er so heftig auf, dass der Schemel krachend umfiel und ein Stück über den Steinboden holperte.
    Erschrocken fuhren die Frauen zusammen.
    „Mann, hast du sie noch alle?“ Susanne wäre ihm am liebsten an die Gurgel gegangen. Jetzt hatte Martina Klausen sich halbwegs beruhigt, und er warf einfach den Stuhl um!
    Dann sah sie sein käsiges Gesicht. „Heinz?“
    Seine Hand zitterte, als er die Rechnung vom Stapel nahm und ihr reichte.
    Zwei Sekunden später warf auch Susanne ihren Hocker um.
     
    ********
     
    „Das ist wirklich lächerlich“, wiederholte Wolfgang noch einmal, immer noch in gebückter Haltung. „Nun machen Sie mal halblang. Das ist Frau Albertini, Claudias Klassenlehrerin.“
    Hildegard Albertini. Chris erinnerte sich, dass Susanne kurz nach Claudias Tod mit ihr gesprochen hatte. Der Name war ihm nur im Gedächtnis geblieben, weil die Kommissarin anscheinend beeindruckt war, wie sehr sich Lehrer doch mit ihren Kindern identifizierten. — In Claudias Fall so sehr, dass sie zur Mörderin wurde?
    War später noch mal mit Albertini gesprochen worden? Sicher nicht. Der Apfel hatte sie alle auf die falsche Fährte gelockt. Und spätestens nach dem Täterprofil, nach den Berechnungen, dass der Apfel wahrscheinlich von Annikas Mörder gegessen worden war … War das die moderne Kriminalistik? Man verließ sich auf genetische Fingerabdrücke, mikroskopisch kleine Faserspuren und die Berechnungen eines Computers und vergaß darüber Intuition und Menschenkenntnis.
    Er sah zu Karin, die allen Grund gehabt hätte, Genugtuung zu verspüren. Ihr Blick drückte alles aus: Qual, Wissen, Angst. Aber nicht den Hauch von

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