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Mantelkinder

Mantelkinder

Titel: Mantelkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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Therapie wissen, noch von Seminaren und Selbsthilfegruppen, die Eltern verstorbener Kinder organisierten. Chris nahm sich vor, noch einmal auf ihn einzuwirken, wenn das hier vorbei war. Wenn das hier vorbei war …
    Susannes Fax lag vor ihm auf dem Esstisch und während er erklärte, warum sie eine Person suchten, die vorehelich geboren war, klaubte Monika eine Pappschachtel mit Bonbons von der Anrichte und steckte sich eins in den Mund.
    „Der Typ muss genauso krank sein wie Ballmann“, bemerkte Wolfgang kopfschüttelnd, als Chris fertig war. „Mindestens!“
    „Du lieber Himmel — unehelich! Das ist doch nun heute wirklich kein Problem mehr“, warf Monika ein, wegen des Bonbons leicht nuschelnd.
    „Heute nicht mehr, ja“, sagte Karin. „Aber ich kann mich erinnern, dass wir ein Mädchen in der Klasse hatten, das nicht wusste, wer sein Vater war. Es wurde von den anderen immer ein wenig geschnitten. Die Generationen davor haben es sicher ganz schwer gehabt. Und wenn sich daraus eine Psychose oder wie auch immer man das nennt, entwickelt … He, Chris, was ist los mit dir?“
    Verstört sah er auf. Etwas stimmte nicht. Ein flüchtiges Bild tauchte vor seinen Augen auf. Das gleiche, das ihm beim letzten Gespräch mit Grete Horn schon durch den Kopf geschossen war. Weshalb erinnerte er sich ausgerechnet jetzt wieder daran? Waren es Karins Worte über Kinder? Psychosen? Generationen?
    Unsicher blickte er von einem zum anderen. Wolfgang sah ihn erwartungsvoll an. Karin hatte einen eher besorgten Gesichtsausdruck. Monika lutschte einfach ihr Bonbon und verströmte dabei einen seltsamen Geruch.
    „Frau Seibold! Die Bonbons!“, krächzte er und vergaß beinahe das Atmen.
    „Oh, möchten Sie?“ Monika schob die Schachtel über den Tisch. „Melisse. Schmeckt ´n bisschen komisch. Soll aber gesund sein.“
    „Wo .. woher haben Sie die?“, fragte er heiser.
    „Chris.“ Karin legte ihm eine Hand auf den Arm. „Neben Sonja hat man ein Melissebonbon gefunden, ja. Aber was soll das jetzt?“
    „Das meine ich nicht.“ Chris schluckte. Es ging nur um den Geruch, den er kannte. Die große Frau, neben der er gestanden hatte, die genauso roch. Dann Monikas Aufschrei: „Sie ist jetzt so allein da oben!“ Da war die Frau zusammengezuckt, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen. Und neben Sonja hatte ein Melissebonbon gelegen … Eine Frau!
    „Frau Seibold! Haben Sie die Zeitungsberichte gesammelt? Über Claudia?“
    „Wir haben alles über sie“, mischte Wolfgang sich ein. Er klang beinahe stolz. „Auch, was im Fernsehen kam. Ich hab alles auf DVD. Und die Zeitungsartikel sowieso. Monika, gib mal den Ordner.“
    Sie langte nur hinter sich und zog einen schmalen Hefter von der Anrichte. Er lag dort offenbar immer griffbereit.
    Mit fliegenden Fingern blätterte Chris ihn durch und fand schnell den Artikel über die Trauerfeier. Das Foto zeigte genau die Szene, die er suchte. Die Familie stand auf der Kirchentreppe und sah zu, wie der weiße Sarg in den Wagen geschoben wurde. Aber die Aufnahme war unscharf, die Personen winzig. Er konnte gerade noch Monika und die Zwillinge ausmachen, aber die Reihe dahinter wäre auch mit der besten Lupe nicht erkennbar.
    „Zeigen Sie mir die DVD!“, verlangte Chris energisch.
    Während sich Wolfgang an Fernseher und Abspielgerät zu schaffen machte, wechselte Chris einen kurzen Blick mit Karin. In den Kieselaugen lag angespannte Konzentration und die Gewissheit, dass er auf der richtigen Fährte war.
    Als Wolfgang die DVD startete, rief Chris ihm zu: „Die Trauerfeier, Herr Seibold! Ich brauch nur die Trauerfeier!“
    Wolfgang schaltete auf Suchlauf. Es war ein seltsames Gefühl, all die Stationen, die sie seit Claudias Verschwinden durchgemacht hatten, noch einmal im Schnelldurchgang zu erleben. Die ersten Suchmeldungen, die Beschreibung ihrer Kleidung, das Auffinden der Leiche. Die im Müll wühlenden Polizisten, ein kurzes Interview mit Marlene Breitner. Und endlich die Trauerfeier. Menschen, die zur Kirche strömten, Polizisten, die alles hermetisch abriegelten. Die letzte Szene: Der Abschied vom weißen Sarg.
    „Stopp!“, rief Chris.
    Wolfgang tat wie ihm geheißen, aber da waren sie über die Sequenz schon hinaus.
    „Zurück! Ein Stückchen vorher. Die Szene vor der Kirche. Das ist es!“
    Nach mehrmaligen Versuchen erwischte Wolfgang exakt die Treppe der Nikolauskirche und schaltete auf Standbild.
    Chris ging nahe an den Fernsehapparat heran. Monika und die

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